"AG Impfpflicht": Zu Lauterbachs Spezial-Task Force zur Impfpflicht gibt es angeblich keine Protokolle
Die RKI-Protokolle zeigen auf, dass es eine ministerienübergreifende "AG Impfpflicht" gab. Die Existenz dieses Gremiums wurde nun offiziell vom BMG bestätigt - Protokolle dazu gebe es allerdings keine
Bei der Analyse der RKI-Protokolle entdeckte ich eine Textstelle, die darauf schließen ließ, dass es eine ministerienübergreifende “AG Impfpflicht” gab, an der das RKI sich beteiligt hatte. Ich stellte dazu eine IFG-Anfrage über das Portal “Frag Den Staat”. Auch das Büro der Bundestagsabgeordneten Jessica Tatti (BSW) fragte zur “AG Impfpflicht” beim Bundesgesundheitsministerium nach. Heute erhielt Tatti eine offizielle Antwort seitens des BMG: Darin bestätigte das Ministerium die Existenz des Gremiums “AG Impfpflicht” und eine ministerienübergreifende Zusammenarbeit in diesem Rahmen. Gleichzeitig behauptet das BMG, zu diesem Gremium würde es keine Protokolle geben. Dass es keine schriftlichen Dokumente zu einem solch kritischen Gremium im Hinblick auf die Grundrechte der Bürger geben soll, ist mit der Vorstellung eines Rechtsstaats nur schwer vereinbar.
Das Robert-Koch-Institut unterlag im Hinblick auf die Impfpflicht-Debatte einem starken politischen Spannungsverhältnis. Aus den RKI-Protokollen geht hervor, dass es über den Zeitverlauf hinweg am Institut einen internen “Sinneswandel” gab. Im November 2021 war man am RKI noch ausdrücklich dafür: Sowohl für die einrichtungsbezogene, als auch für allgemeine Impfpflicht. Am 26.11.2021 heißt es dazu in den RKI-Protokollen:
„Eine Stellungnahme zur Impflicht wurde erarbeitet. Eine einrichtungsbezogene aber auch allgemeine Impfplicht wird vom RKI als sinnvoll erachtet. (.) Eine einrichtungsbezogene Impfpflicht lässt sich einfacher implementieren als eine allg. Impflicht.“
(Sitzungsprotokoll vom 26.11.2021, Seite 9, Rechtschreibfehler entsprechen dem Original)
Über den Zeitverlauf und in Anbetracht der zunehmend stärker dominierenden Omikron-Variante, die sich zwar noch rasanter verbreitete, aber weniger virulent war, wurden im RKI zunehmend Zweifel laut: Mitte Januar hieß es, angesichts von Omikron hätten sich die Bedingungen geändert. Eine Entscheidung über eine Impfpflicht sei “sehr schwierig”, wenn Corona endemisch würde. Es sei ein „paternalistischer Ansatz“, Menschen vor sich selbst beschützen zu wollen. Außerdem sei die Umsetzung einer Impfpflicht kompliziert. Man beschloss, sich zukünftig mit Empfehlungen in diesem Bereich stärker zurückzuhalten. Am 12.01.2022 heißt es dazu in den RKI-Protokollen:
“Diskussion zum Thema Impfpflicht
Hinweis: Mit diesem Thema soll wahrscheinlich der Expertenrat beauftragt werden, der Themen, die in der Zuständigkeit anderen Gremien liegen, eigentlich ungern aufnimmt. RKI-Position war bisher die Befürwortung einer Impfplicht ab 18 Jahre (ohne weitere Überlegungen Stellungnahme zu Sanktionen), gibt es Gegenargumente? Umsetzung ist kompliziert: Impfregister? Über Meldeämter? Über Krankenkassen? Impfung soll individuellen Schaden abwenden und Krankheitslast im Gesundheitswesen reduzieren, Omikron hat diesbezüglich einiges verändert. Verminderung der Transmission durch Impfung ist bei Omikron gering, die Verhinderung schwerer Verläufe jedoch sehr gut gegeben. Ein angepasster Impfstoff könnte die Wirkung auf die Transmission verbessern. Kontrolle/ Sanktionen sind schwierig, Sanktionen sollten locker gehandhabt werden, ggf. ohne zentrale Erfassung. Cosmo-Daten zeigen, dass viele Ungeimpfte sich nicht impfen lassen wollen, diese sollten vor sich selbst beschützt werden. Menschen zu Ihrem eigenen Wohl zu etwas zu zwingen, ist eher paternalistischer Ansatz, besser Empowerment (PH- Grundgedanke)? Impfung kommt für Omikron-Welle zu spät, aber auch danach wird keine Grundimmunität in der Gesamtbevölkerung vorhanden sein. Insgesamt überwiegen die positiven Aspekte der Impfung, Geimpfte sind in jedem Fall besser geschützt als Ungeimpfte. Auch an Long COVID (bzw. die Verhinderung) sollte gedacht werden. Kontrollwesen: „Das Bessere ist der Feind des Guten“ Erwartung an RKI ist: Transparenz bezüglich der Entscheidungsgrundlagen und -kriterien. Das Institut sollte keine Haltung zur Impfung einnehmen, sondern transparent die Grundlagen und mögliche Entscheidungskriterien kommunizieren (Beispiel Pockenschutzimpfung: Möglichkeit der Eradikation durch Impfflicht, allerdings umfänglicher Immunschutz durch Impfung) Wichtige Diskussion, RKI sollte zusätzliche Kriterien und Entscheidungsgrundlagen liefern. Entscheidung wird, sollte die Lage endemisch werden, sehr schwierig”
(Sitzungsprotokoll vom 12.01.2022, Seiten 10 und 11, Rechtschreibfehler entsprechen dem Original)
Die Lage wurde indes endemisch: Die Omikron-Anteil an den kursierenden Varianten betrug im März 2022 bereits 100%. Nichtsdestotrotz wurde das RKI weiterhin von Karl Lauterbach für den von ihm anvisierten Gesetzesentwurf einer allgemeinen Impfpflicht vor den Karren gespannt: Aus der Sitzung vom 04.02.2022 geht hervor, dass es eine sogenannte „AG Impfpflicht“ in Zusammenarbeit “mit anderen Ministerien” gab. Das RKI sollte dabei der “Gesetzesbegründung für die allgemeine Impfpflicht” “zuarbeiten”:
„Teilnahme an der AG Impflicht mit anderen Ministerien, Zuarbeit zur Gesetzesbegründung der allgemeinen Impfflicht“
(Sitzungsprotokoll vom 04.02.2022, Seite 9, Rechtschreibfehler entsprechen dem Original)
Die Textstelle wurde erst kürzlich entdeckt, da der Begriff "Impfpflicht" in den RKI-Protokollen in ein und demselben Absatz gleich zweimal falsch geschrieben wurde: Einmal "Impflicht" und einmal "Impfflicht". Somit war die Textstelle nicht ohne Weiteres über die Stichwortsuche auffindbar, sondern nur über ein chronologisches Lesen der Protokolle. Es ist überhaupt bemerkenswert, wieviele unterschiedliche, falsche Schreibweisen von “Impfpflicht” sich in den RKI-Protokollen wiederfinden.
Eine Woche später, am 11.02.2022, wird aus den Protokollen deutlich, dass die “Zuarbeit” des RKI zur Gesetzesbegründung der allgemeinen Impfpflicht auf einer Forderung des BMG - ergo Gesundheitsminister Karl Lauterbach - fußte:
"Derzeit wird umfangreiche Zuarbeit zum Thema Impfpflicht vom BMG eingefordert"
(Sitzungsprotokoll vom 11.02.2022, Seite 8)
Und das, obwohl in der gleichen Sitzung deutlich wird, dass das RKI von einer Notwendigkeit von „Zertifikaten“ - also auch “Impfzertifikaten” - überhaupt nicht mehr überzeugt war:
„Hinweis an die Politik, dass viel Zeit und Energie in die technische und rechtliche Gestaltung von Zertifikaten und in die Ausgestaltung rechtlicher Verordnungen investiert wird, die in absehbarer Zeit nicht mehr notwendig sind“
(Sitzungsprotokoll vom 11.02.2022, Seite 7)
Da die Information über die “AG Impfpflicht” ganz neu über die RKI-Protokolle ans Tageslicht gekommen ist, und über dieses Gremium öffentlich noch keine Informationen bekannt sind, stellte ich am 09. Februar dazu eine Anfrage über das Informationsfreiheitsportal Frag den Staat. Das RKI hat am 14.02.2025 den Eingang meiner Anfrage bestätigt.
Auch das Büro der Bundestagsabgeordneten Jessica Tatti wurde im Zuge der neuen Informationen zur “AG Impfpflicht” aktiv und stellte eine offizielle Anfrage an das Bundesgesundheitsministerium:
“Welche Informationen hat die Bundesregierung über die Mitarbeit des Robert-Koch-Instituts (RKI) an der ministerienübergreifenden „AG Impfpflicht“, konkret der „Zuarbeit [des RKI] zur Gesetzesbegründung der allgemeinen Impfpflicht“ (siehe RKI-Protokoll der Sitzung am 4. Februar 2022; bei Stichwortsuche auf falsche Schreibweise im Protokoll „Impflicht“ bzw. „Impfflicht“ achten), und werden nach Kenntnis der Bundesregierung Sitzungsprotokolle, E-Mails und sonstige Dokumente dieser Arbeitsgruppe „AG Impfpflicht“ veröffentlicht bzw. Parlamentariern zur Verfügung gestellt, und wenn ja, wann und wo?”
Aus der Anfrage des Büros von MDB Jessica Tatti, BSW
Die Bundesregierung hat heute offiziell auf die Anfrage der Abgeordneten Jessica Tatti geantwortet. Die Existenz der “AG Impfpflicht” wird seitens des BMG bestätigt - allerdings lägen dazu angeblich keine Protokolle vor:
“Im Frühjahr 2022 wurden zur Ausgestaltung einer etwaigen allgemeinen Impfpflicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 verschiedene Gruppenanträge aus der Mitte des Deutschen Bundestages beraten. Die Bundesregierung hatte bei der Erarbeitung der Anträge Hilfestellung zugesagt und diese auf entsprechende Bitten einzelner Abgeordneter hin geleistet. Zu diesem Zweck wurde eine interministerielle Arbeitsgruppe eingerichtet, an der u.a. das Robert Koch-Institut (RKI) beteiligt war. Das RKI hat in diesem Zusammenhang an mehreren Videokonferenzen der Arbeitsgruppe teilgenommen. In der Arbeitsgruppe wurden u.a. Fragen zur Einführung einer allgemeinen Impfpflicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 fachlich beraten. Das RKI hat bei der Aufarbeitung der wissenschaftlichen Evidenz unterstützt, die als Grundlage in die verschiedenen Gruppenanträge aufgenommen wurde. Es existieren keine Protokolle zu den Treffen der interministeriellen Arbeitsgruppe.”
Die Gruppenanträge, Gesetzentwürfe, Debatten und weitere Hintergrundinformationen zur Einführung der allgemeinen Impfpflicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 sind detailliert unter dem folgenden Link abrufbar: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2022/kw14-de-impfpflicht-886566”
Die BSW-Abgeordnete Jessica Tatti hat dazu heute Stellung genommen. Sie spricht von einer “Instrumentalisierung des RKI” durch die Bundesregierung und einer “Doppelrolle” von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach:
„Die Bundesregierung versuchte offenbar im Vorfeld der Bundestagsabstimmung über die allgemeine Impfpflicht gegen Corona am 7. April 2022, das Robert-Koch-Instituts (RKI) zu instrumentalisieren – um die vor allem von Rot-Grün gewollte allgemeine Impfpflicht durchzubringen.”
(.)
”SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach wollte selbst unter der milden Omikron-Variante noch die allgemeine Impfpflicht durchsetzen. Bekannt ist seit den RKI-Files auch, dass Lauterbach deshalb im Vorfeld der Bundestagsabstimmung am 7. April 2022 die Herabstufung der Gefahrenlage durch das RKI untersagte. Der Verdacht liegt nahe, dass der impfwütige Minister Lauterbach das RKI auch bei der interministeriellen AG Impfpflicht politisch missbrauchte. Der von ihm favorisierte Antrag im Bundestag sollte ein wissenschaftliches Deckmäntelchen bekommen.”
(.)
”Karl Lauterbach war in einer problematischen Doppelrolle unterwegs: Als SPD- Parlamentarier trommelte er für den Antrag seiner Fraktion in so ziemlich jeder Talkshow, in der er sich aufs Sofa setzen durfte. Und als weisungsbefugter Gesundheitsminister forderte er vom RKI dessen vermeintlich neutrale wissenschaftliche Expertise an.”
(.)
”Dabei zweifelte das RKI schon ab Mitte Januar 2022 daran, ob eine allgemeine Impfpflicht angesichts der sehr viel milderen Omikron-Variante überhaupt noch haltbar ist. Es wurde geäußert, dass solch eine Entscheidung „schwierig“ wäre, wenn Corona endemisch wird, und dass es ein „paternalistischer Ansatz“ sei, Menschen vor sich selbst zu beschützen. Außerdem sei die Umsetzung kompliziert.”
Hier das komplette Statement von Jessica Tatti im Wortlaut:
Die angeblich nicht vorhandenen Protokolle zur “AG Impfpflicht” sind insbesondere deshalb besonders pikant, weil aus den RKI-Protokollen auch hervorgeht, wie auf Anweisung des BMG die Risikobewertung des RKI bewusst auf „sehr hoch“ gehalten wurde, obwohl das RKI diese aus fachlicher Sicht längst herunterstufen wollte. Die Herunterstufung wurde jedoch durch gezielte Anweisungen von Karl Lauterbach verhindert. Es liegt nahe, dass der Minister das Risiko möglichst auf “sehr hoch” beibehalten wollte, um sein Herzensprojekt der allgemeinen Impfpflicht vor dem Parlament zu legitimieren und durchzubringen:
„Risikobewertung: Der Zeitpunkt der Veröffentlichung ist abhängig von der Zustimmung des BMG, voraussichtlich nicht vor der MPK am 16.02.2022. Eine Herabstufung vorher würde möglicherweise als Deeskalationssignal interpretiert, daher politisch nicht gewünscht. Inhaltliche Überarbeitung und Diskussion werden auf nächste Woche vertagt.“
(Sitzungsprotokoll vom 09.02.2022, Seite 6)„Reduzierung des Risikos von sehr hoch auf hoch wurde vom BMG abgelehnt.“
(Sitzungsprotokoll vom 25.02.2022, Seite 8)
„Diskussion der überarbeiteten Version zur Risikobewertung. In Hinblick auf das BMG sollte die Herabstufung aus strategischen Gründen zunächst auf hoch und nicht moderat erfolgen.“
(Sitzungsprotokoll vom 20.04.2022, Seite 8)
Über weitere Entwicklungen und neue Informationen im Hinblick auf die “AG Impfpflicht” werde ich fortlaufend berichten.
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Ich hatte eine Anfrage an das Kanzleramt:
"In den Protokollen des Expertenrats der das Kanzleramt beraten hat wird folgendes erwähnt:
"Evaluierung des IfSG wird von Expertenkommission vorgenommen, deren Bericht als Grundlage für eine Anpassung des Infektionsschutzes dienen soll."
Bitte senden Sie mir diesen Bericht der Expertenkommission zur Beurteilung des IfSG.
Sollten Sie diesen Bericht nicht haben, benennen Sie bitte die Stelle, welche für die Herausgabe zuständig ist."
Das wurde schriftlich, per Einschreiben abgelehnt.
https://drbine.substack.com/p/meine-ifgfoia-liste
Vielleicht haben Sie mehr Möglichkeiten da nachzutreten.
Thank you Aya. Gradually light shines on what was supposed to remain in the dark.