Hat der brandenburgische Ministerpräsident Dietmar Woidke beim letzten Corona-Untersuchungsausschuss gelogen?
Letzte Woche fanden gleich zwei Sitzungen des Corona-Ausschusses im Brandenburger Landtag statt. Dabei fielen fragwürdige Aussagen des brandenburgischen Ministerpräsidenten Dietmar Woidke
In der vergangenen Wochen fanden gleich zwei Sitzungen des Corona-Untersuchungsausschusses im Brandenburger Landtag statt. In der 13. Sitzung am Montag, 11. März wurde unter anderem Prof. Dr. Jörg Dötsch, der ehemalige Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. und ehemaliges Mitglied des Corona-Expertenrats, befragt. Dötsch hatte sich im Dezember 2021 “uneingeschränkt” für die Impfung aller 12-17-Jährigen ausgesprochen. Auf Fragen zu impfbedingter Myokarditis bei Kindern und Jugendlichen, und Studien, die schon VOR Dezember 2021 diesbezüglich erschienen waren, war er nicht vorbereitet. Der Vorsitzende erlöste ihn mit Verweis auf die “Unzulässigkeit” der Frage.
In der 14. Sitzung am Freitag, 15. März erfolgte die Befragung des amtierenden brandenburgischen Ministerpräsidenten Dietmar Woidke. Auf “Ausgangssperren für Ungeimpfte” im Land Brandenburg angesprochen, gab Woidke zu Protokoll, diese seien “eigeninitiativ von den Landräten” verhängt worden. Die Antwort ist problematisch - denn sie ist unwahr: Die in sechs Landkreisen Brandenburgs verhängten Ausgangssperren für Ungeimpfte gingen auf zwei Corona-Verordnungen der Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher zurück. Woidke als Ministerpräsident trug diese Maßnahmen. Einen Spielraum für Eigeninitiative gab es für die Landräte demnach nicht. Mein Bericht zu den Höhepunkten der beiden Corona-Ausschuss-Sitzungen der letzten Woche, und meiner Presseanfrage an Dietmar Woidke.
13. Corona-Untersuchungsausschuss: Montag, 11. März 2024
Erste Vernehmung: Mike Toppel, Leiter der Polizeidirektion Ost
In der ersten Vernehmung wurde erneut ein hochrangiger Polizeibeamter befragt: Mike Toppel, Leiter der Polizeidirektion Ost des Landes Brandenburg. Genau wie sein Amtskollege aus der Direktion West, bestätigte Toppel auf Fragen zur politischen Verortung des Demonstrationsgeschehens nicht den häufig medial kolportierten Eindruck, dass die Corona-Demos "rechts" gewesen seien. Auch er sah den Höhepunkt des Versammlungsgeschehens im ersten Quartal 2022. In seinem Einsatzbereich in Brandenburg-Ost habe es in diesem Zeitraum 460 "Versammlungslagen" gegeben. Gewalt - etwa gegen Polizeibeamte - habe es bei keiner dieser Versammlungen gegeben: Ihm seien "gar keine" gewalttätigen Corona-Demos in seinem Einsatzbereich bekannt. Es gab vereinzelte Verstöße gegen die Infektionsschutzverordnung, letztere wurde dann von den Beamten entsprechend durchgesetzt.
Zu einer Einsatzlage in seinem Bereich, bei der ein Mensch gestorben sei, könne er keine Fragen beantworten, da er nicht vor Ort gewesen sei. Montagsspaziergänge, die mehrheitlich unangemeldet stattfanden, seien ein "neues Phänomen" für sie als Polizei gewesen. Dass diese Spaziergänge "Versammlungen" im Sinne des Versammlungsrechts darstellten, sei in der Polizei schon früh Konsens gewesen, da eine politische Botschaft zum Ausdruck gebracht werden sollte. Man habe dann immer versucht, einen Versammlungsleiter ausfindig zu machen - was sich in den meisten Fällen unmöglich gestaltete, die Versammlung anschließend zu begleiten und die geltende Infektionsschutzverordnung durchzusetzen.
Zweite Vernehmung: Diplom-Soziologin Sadowski möchte sich zu den psychischen Auswirkungen der Maßnahmen nicht äußern
In der zweiten Vernehmung wurde die Sachverständige Ute Sadowski, Diplom-Soziologin und Projektleiterin der "Koordinierungsstelle Gesundheitliche Chancengleichheit Brandenburg" befragt, die an einer Studie zur psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen im Land Brandenburg während der Corona-Zeit mitgewirkt hatte. Die Studie war das brandenburgische Äquivalent zur COPSY-Studie auf Bundesebene, stellte aber im Gegensatz zur bundesweiten Studie keine Längsschnitt-, sondern eine Querschnitterhebung - sprich: Eine Momentaufnahme dar.
Ergebnisse der Studie: Mehr als drei Viertel der Eltern in Brandenburg empfanden den Lockdown und die Schulschließungen als „belastend“, dabei vor allem den Verlust von Freizeitaktivitäten und Probleme, das Homeschooling und Berufstätigkeit zu organisieren. Jedes dritte Kind in Brandenburg litt während dieser Zeit an psychischen Auffälligkeiten - in dieser Hinsicht unterschied sich Brandenburg nicht von der Bundesebene. Mädchen klagten dabei noch häufiger als Jungen über eine verminderte Lebensqualität (46 % versus 29%). Drei Viertel aller Jugendlichen empfanden die Situation als “etwas bis äußerst belastend” – dieser Wert lag niedriger als bundesweit. Bei 36.8% seien „Anzeichen einer generalisierten Angststörung“ erkennbar gewesen. Eines von fünf Kindern entwickelte Anzeichen einer depressiven Symptomatik. In der zum Zeitpunkt der Erhebung vorangegangenen Woche hatten sechs bis sieben von zehn Kindern über Gereiztheit, Einschlafprobleme, Kopfschmerzen und Niedergeschlagenheit geklagt. Bei 44,3% der Kinder hatte sich die selbstwahrgenommene “Stimmung in der Familie” im Vergleich zu VOR der Corona-Krise deutlich verschlechtert.
Christine Wernicke, eine Abgeordnete der “Freien Wähler” wollte wissen, welche Maßnahmen sich als am Schwerwiegendsten für Kinder und Jugendliche erwiesen hätten. Zur deutlich hörbaren Überraschung im Publikum antwortete Sadowski hierauf, dass man sich Auswirkungen der einzelnen Maßnahmen nicht angeschaut habe. Die Freie Wähler Abgeordnete hakte nach und wollte wissen, welche Maßnahmen man für die Zukunft als nicht empfehlenswert einschätze. Sadowski antwortete, es stünde ihr als Sachverständige nicht zu, sich zu den Maßnahmen zu äußern. Sie wollte die Frage nicht beantworten.
Corona-Expertenrat vor dem Corona-Untersuchungsausschuss:
Prof. Dr. Jörg Dötsch
Als dritte Vernehmung des Tages folgte Jörg Dötsch, der ehemalige Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V., Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin Köln und ehemaliges Mitglied des Corona-Expertenrats. Auftreten und Tonfall des freundlichen Herrn aus Köln unterschieden sich deutlich von den vorherigen Zeugen des Ausschusses: Brachten letztere meist durch gereizte Antworten unverhohlen ihre innere “Brandmauer” zum “AfD-Ausschuss” zum Ausdruck, so verhielt Jörg Dötsch sich komplett gegenteilig: Er bekräftigte mehrfach, wie dankbar er dem Ausschuss sei, und dass er es sehr begrüße, dass hier die Bereitschaft bestünde, sich in zukünftigen Krisen besser auf die Gesundheit der Kinder vorzubereiten. Man habe ihn da ganz an seiner Seite.
Der Linken-Abgeordnete Ronny Kretschmer wollte von Dötsch wissen, wie sich der Bewegungsmangel auf die Kinder ausgewirkt hätte. Dötsch antwortete, dass Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen massiv zugenommen hätten: Es gebe eine signifikante Zunahme von Magersucht und Übergewicht, letzteres insbesondere bei sozioökonomisch benachteiligten Bevölkerungsteilen. Außerdem hätten sowohl Typ 1 als auch Typ 2 Diabetes unter Kindern zugenommen. Auch die “Schuleignungen” der Kinder seien zurückgegangen, ebenso wie die allgemeine Impfbereitschaft bei den Eltern im Hinblick auf ihre Kinder. Letzteres sei ein großes Problem: Man müsse beständig daran arbeiten, dass die Impfbereitschaft nicht nachlasse, denn wegen der zurückgegangenen Impfbereitschaft gebe es aktuell sogar wieder “Masern-Ausbrüche”.
Der Abgeordnete Péter Vida (BVB / FREIE WÄHLER) konstatierte, er hätte den Eindruck, die Verhängung der Maßnahmen sei immer sehr schnell gegangen - bei der Rücknahme von Maßnahmen hätte jedoch stets große Skepsis geherrscht. Ob Dötsch diesen subjektiven Eindruck verstehen könne? Dötsch antwortete zunächst scherzhaft, “Kinderärzte sind empathisch und können das verstehen”, fügte dann aber ernst hinzu, es sei sicher nicht nur eine Frage des subjektiven Eindrucks, sondern objektiv feststellbar. Rückblickend über die Maßnahmen zu urteilen, sei aber immer schwierig: Da habe man es mit einer Ex-Post-Betrachtung zu tun. Hinterher sei man eben immer klüger - man hätte es damals aber einfach nicht besser gewusst. „Als wir dann zunehmend belastbare Daten hatten, wussten wir, das geht nicht in die richtige Richtung für die Kinder.“, so Dötsch. Heute wisse beispielsweise jeder, dass eine Ansteckungsgefahr unter freiem Himmel verschwindend gering ist – damals wusste man es jedoch noch nicht.
Die CDU-Abgeordnete Saskia Ludwig wollte von Dötsch wissen, warum bei Kindern und Jugendlichen keine “Kontrollgruppe” eingesetzt wurde - eine Gruppe von Kindern, an denen keine “Maßnahmen” vollzogen würden. Dötsch antwortete hierauf, dies sei eine sehr interessante Frage, die das Grundverständnis von Wissenschaft berühre: Kontrollgruppen dürften bei Kindern und Jugendlichen nur unter sehr strengen ethischen Auflagen eingeführt werden. Wenn etwa ein gefährliches Bakterium auftrete, dürfe man nicht einer Gruppe von Kindern Antibiotika verweigern, nur um eine saubere Kontrollgruppe für die Wissenschaft zu erhalten. Daher war es aus ethischen Gründen während der Corona-Krise nicht möglich, eine Kontrollgruppe zu untersuchen, weil man damit Kinder möglicherweise gefährdet hätte.
Dötsch trug während der Corona-Jahre Verantwortung: Prof. Dr. Reinhard Berner und er waren die beiden einzigen Kinderärzte im Corona-Expertenrat der Bundesregierung. Im Sommer 2021 äußerte er sich noch vorsichtig im Hinblick auf die Kinder-Impfung: In einem ZEIT-Interview wies er darauf hin, dass “Abwarten (.) in der Medizin manchmal eine echte Option” sei. Im Winter 2021 schlug er dann ganz andere Töne an: Auf einer Bundespressekonferenz am 16. Dezember 2021 mit Lothar Wieler und Karl Lauterbach empfahl er “uneingeschränkt” die Impfung der 12-17-Jährigen: Das “Nutzen-Risiko-Verhältnis” sei eindeutig zugunsten der Impfung zu sehen. Kinder und Jugendliche hätten zwar ein minimal gesteigertes Risiko, eine Herz-Muskel-Entzündung zu bekommen - Studien zeigten, dass etwa jedes zehntausendste Kind oder Jugendliche betroffen sei - aber man wisse “von ALLEN bisher stattgehabten Herzmuskelentzündungen, dass diese reversibel, das heißt, wieder zur Gesundung geführt haben”. Zudem riet er dazu, Hygienemaßnahmen an Schulen, inklusive “das Maskentragen von Kindern” unbedingt einzuhalten - da Schulen auch einen Beitrag zur Eindämmung des Infektionsgeschehens leisteten.
Die Abgeordnete Ludwig konstatierte, sowohl das PEI als auch die STIKO hätten früh gesagt, dass die Maske ein medizinisches Produkt sei, das nicht in Nicht-Medizinerhände gehöre. Trotzdem seien Masken eingeführt worden. Warum das in seinen Augen so gewesen sei? Dötsch antwortete, dazu könne er nichts sagen. Er als Pädiater hätte aber vor dem Einsatz von FFP2-Masken für Kinder gewarnt, da “die Passgenauigkeit nicht gegeben ist”. Ludwig wollte nun wissen, warum FFP2-Masken für Kinder dann trotzdem zum Einsatz gekommen seien. Darauf erwiderte Dötsch, man befinde sich ja in einer “pluralistischen Gesellschaft”. Die Abgeordnete Ludwig schloss das Thema mit den Worten: “Stellen wir also fest, dass die Maske keine wissenschaftliche, sondern eine ‘andere’ Entscheidung war.“
Die CDU-Abgeordnete Roswitha Schier begann ihre Einlassung mit der Feststellung, Fehler zugeben falle ja vielen schwer - “Ihnen vielleicht auch” – der Ausschuss wolle jedoch gewissermaßen „Pflöcke einhauen“ um zu wissen, wie man sich in der nächsten Pandemie zu verhalten habe. Wie er die Kinderimpfung begleitet habe. Dötsch antwortete, dass Kinder und Jugendliche als Schutzbefohlene nur dann geimpft werden dürfen, wenn ein Individualnutzen erkennbar sei. Anders bei Erwachsenen: “Wir [Erwachsene] mussten uns impfen lassen, um andere zu schützen“. Aber bei Kindern müsse immer ein Individualnutzen vorliegen. Er hätte die Richtungsänderung der STIKO im Sommer 2021 pro Kinderimpfung komplett mitgetragen. Zumal die STIKO für ihre Empfehlung ja überhaupt viel länger gebraucht habe als amerikanische Organe. Die Abgeordnete Ludwig legte nun Studien vor, etwa eine große US-Preprint-Studie zu Myokarditis nach Impfung bei jungen Menschen aus September 2021, die sogar Karl Lauterbach bekannt war und von ihm auf X kommentiert wurde:
Ab diesem Moment müsse doch zur Frage gestanden haben, ob das Myokarditis-Risiko nach der Impfung für junge Menschen möglicherweise höher sei, als das Risiko einer Hospitalisierung nach Covid-Infektion. Ob Dötsch dazu etwas sagen könne. Dötsch räumte ein, er kenne die besagte Studie nicht. Natürlich sei ihnen die Problematik der Myokarditiden bewusst gewesen. Man hätte aber die Abwägung Pro und Kontra Kinderimpfung nicht nur auf Grundlage von Hospitalisierungsdaten getroffen: Einige Gruppen unter den Kindern seien besonders gefährdet gewesen, etwa Kinder mit Trisomie 21 oder mit Herz-Vorerkrankungen. In der Abwägung habe man Myokarditis-Fälle als “weniger gravierend” eingeschätzt als mögliche Todesfälle bei Kindern mit Herzfehlern und Trisomie 21.
Die Abgeordnete Saskia Ludwig gab sich mit dieser Erklärung nicht zufrieden. Herr Thomas Mertens von der STIKO sei bekanntermaßen damals massiv politisch unter Druck gesetzt worden. Was genau habe sich an der Datenlage im Sommer 2021 geändert, so dass die STIKO ihre Impfempfehlung für 12-17 Jährige plötzlich geändert habe? Sie verweist auf das Myokarditis-Risiko, das seit April 2021 in einer israelischen Studie festgestellt wurde. Die Studie hätte ein Risiko von 1:3000 bis 1:6000 ergeben. Eines von 3000 Kindern und Jugendlichen hätte nach der Impfung eine impfbedingte Myokarditis entwickelt. Wie man solche Daten anders hätte interpretieren können, als abträglich für das Kosten-Nutzen-Risiko für Kinder?
Dötsch verwies auf die Tatsache, dass wir alle ständig “vorübergehende Myokarditiden” hätten. Deshalb solle man etwa auch wenn man krank ist, keinen Sport machen - weil so etwas sehr leicht passieren könne. Ludwig wandte ein, das sei sicher richtig, hier handle es sich aber um „impfstoffbasierte Myokarditiden“. Dötsch erwiderte, er sei heute nicht gebeten worden, zu diesen Fragen als Sachverständiger zu sprechen - daher würde es niemandem etwas nützen, wenn er sich nun dazu äußere. An dieser Stelle sprang der Vorsitzende des Ausschusses ihm zur Seite: Dies müsse er, Herr Dötsch, auch gar nicht. Als die AfD-Abgeordnete Oeynhausen eine weitere Frage zum Thema Myokarditis stellen wollte, wiederholte Dötsch, er sei “auf die Pathogenese der Myokarditis heute nicht vorbereitet”. Er sei dankbar für die Frage und würde diese auch gern beantworten, könne es aber nicht. Der Vorsitzende Eichelbaum nahm Dötsch daraufhin erneut in Schutz: Er brauche sich nicht dafür gar nicht zu entschuldigen, die Frage sei nicht vom Beweisbeschluss gedeckt.
14. Corona-Untersuchungssausschuss: Freitag, 15. März 2023
Vernehmung des amtierenden brandenburgischen Ministerpräsidenten Dietmar Woidke
Auf der 14. Ausschusssitzung wurde der amtierende brandenburgische Ministerpräsident Dietmar Woidke befragt. Entsprechend groß war in dieser Sitzung auch das Presseaufgebot: Die Pressetribüne war erstmals gut gefüllt. Vor Beginn der Fragerunde der Abgeordneten erlaubte sich Woidke zunächst ein 38-minütiges “Eingangsstatement”, das den Eindruck erweckte, viele im Ausschuss denkbare Fragen schonmal vorwegzunehmen. Entsprechend oft verwies Woidke in der darauffolgenden Fragerunde auch auf sein bereits getätigtes Eingangsstatement, in der die Frage schon beantwortet worden sei - man müsse eben nur mal gut zuhören.
In der Pandemie stand laut Woidke der Bund über den Ländern. Dazu hätte es regelmäßige Videoschaltkonferenzen mit der Kanzlerin gegeben, die sogenannten Ministerpräsidentenkonferenzen. Brandenburg hätte sich insgesamt als eines der besten Landesprogramme erwiesen: In Brandenburg seien als einzigem Bundesland Deutschlands Lernstands-Erhebungen während der Pandemie durchgeführt worden. Es sei richtig, dass die Maßnahmen sich gravierend auf das Leben der Menschen ausgewirkt hätten: Die Landesregierung sei dem begegnet, indem man die Schulen möglichst lange offen gehalten habe. Die dritte Welle habe man schon vollständig im Präsenzunterricht durchführen können. Im Hinblick auf Kinder und Jugendliche sei man im Land Brandenburg eher zurückhaltend vorgegangen und eine “liberale Linie” gefahren. Woidke führte aus: “Wir waren die Letzten, die Schulen und Kitas geschlossen haben - und die Ersten, die sie wieder aufgemacht haben.” Dies habe sich auch ausgezahlt: Die Prüfungsleistungen der Schüler seien sogar besser als vor der Pandemie ausgefallen, und der Anteil der Menschen mit Abschluss sei um 3 % im Vergleich zu vor der Pandemie gestiegen.
Auch hätte man im Land Brandenburg großen Wert auf eine “Rechtssicherheit” der Maßnahmen gelegt: Wesentliche rechtliche Fragen habe man vor jeder neuen Verordnung mit dem Justizministerium abgeklärt. Vor jeder Kabinettssitzung hätte es Abstimmungen zwischen der brandenburgischen Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher, dem Innenminister Michael Stübgen, der Chefin der Staatskanzlei, Kathrin Schneider und ihm selbst gegeben. So habe man es geschafft, die Rechtsverordnungen im Vorfeld so zu gestalten, dass im Kabinett große Einigkeit darüber herrschte. In anderen Bundesländern seien Landesregierungen für ihre Corona-Maßnahmen erfolgreich verklagt worden - das Handeln der Landesregierung Brandenburgs jedoch hätten alle Gerichte bislang für rechtmäßig befunden. Alle Klagen gegen das Land Brandenburg seien erfolglos geblieben.
In den vorangegangenen Corona-Aussschuss-Sitzungen hatten befragte Zeugen wiederholt auf die Zuständigkeit der Bundesebene und der Ministerpräsidentenkonferenzen verwiesen. Sie selbst hätten nur wenig zu entscheiden gehabt - in den Landesministerien habe man im Wesentlichen Beschlüsse der Bundesebene durchgeführt, so der wiederkehrende Tenor. Der brandenburgische Ministerpräsident Dietmar Woidke war nun der erste Zeuge beim Untersuchungsausschuss, der bei allen Ministerpräsidentenkonferenzen live dabei war, und daher aus erster Hand von der Bundesebene hätte berichten können. Fragen zu den Ministerpräsidentenkonferenzen waren aber, wie der Vorsitzende Danny Eichelbaum (CDU) wiederholt betonte, "nicht vom Beweisbeschluss gedeckt". Interessante Fragen zur Bundesebene - etwa die der Abgeordneten Saskia Ludwig, ob es Konsequenzen gegeben hätte, wenn ein Ministerpräsident den dort ins Auge gefassten Beschlüssen nicht zugestimmt hätte, musste der Zeuge daher nicht beantworten. Dennoch berichtete er "freiwillig" zum Ablauf der MPKs. In der Regel hätte der Gesundheitsminister – das war die längste Zeit Jens Spahn – zunächst eine Einschätzung der "Lageentwicklung" aus Sicht des Gesundheitsministeriums vorgelegt. Dabei sei er oft von von Professor Lothar Wieler, gerade am Anfang auch häufig Professor Christian Drosten, manchmal auch Professor Heyo Kroemer begleitet worden. Auf dieser Grundlage habe man dann weiter diskutiert. Es gebe von den Ministerpräsidentenkonferenzen Ergebnis-, jedoch keine Wortprotokolle.
Im Hinblick auf das Land Brandenburg wurde Woidke zu einer berüchtigten "Ausgangssperre" befragt, die im Januar 2022 zwischen 22 Uhr und 6 Uhr morgens für "Ungeimpfte" galt, wenn die 7-Tage-Inzidenz einen bestimmten Wert überschritt, und die Intensivstationen zu mehr als 10% mit Corona-Fällen belegt waren. Diese "Ausgangssperren" wurden etwa in den Landkreisen Elbe-Elster und Potsdam verhängt. Ob ihm erinnerlich sei, mit welcher Zielvorstellungen diese Ausgangssperren verhängt wurden? An dieser Stelle trat eine kurze Pause ein. Woidke tätigte einen hilfesuchenden Blick zum Vorsitzenden Danny Eichelbaum. Dieser blieb diesmal hart: “Die Frage lasse ich jetzt mal so zu.”
Woidke begann daraufhin zu erklären, die Ausgangssperren für Ungeimpfte seien "auf Landkreisebene beschlossen worden". Es seien jeweils "eigenverantwortliche" Entscheidungen der Landräte gewesen - und er persönlich glaube, dass die Landräte damit sehr verantwortlich gehandelt hätten. Er sei froh, dass die Landräte "eigeninitiativ" Maßnahmen verhängt hätten, um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Infektionen einzudämmen sei in Deutschland im Großen und Ganzen durch die politischen Maßnahmen gut gelungen - und "darauf sei er auch ein stückweit stolz".
Die letzte Vernehmung des Tages von Dr. Ulrich Widders, Leiter des Referats 43 im Ministerium für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg, konnte ich aus Zeitgründen nicht mehr besuchen.
Hat der brandenburgische Ministerpräsident Dietmar Woidke im letzten Corona-Untersuchungsausschuss gelogen?
In der Ausschuss-Sitzung wurden Woidkes Aussagen, die Landräte hätten im Januar 2022 “eigeninitiativ” Ausgangssperren für Ungeimpfte verhängt, von den befragenden Landtags-Abgeordneten nicht weiter kritisch hinterfragt. Offensichtlich fiel vor Ort noch niemandem ein Widerspruch auf. Im Nachgang der Sitzung jedoch, als ich öffentlich auf meinem X-Kanal über Woidkes Aussagen berichtete, wies der X-User Matthias F. Mohr darauf hin, dass diese fragwürdig seien: Ausgangsbeschränkungen für Ungeimpfte waren ab einer Inzidenz von 750 und mehr als 10% Covid-Patienten auf Intensivstationen damals für die Landkreise nämlich verpflichtend - gemäß einer Corona-Verordnung des brandenburgischen Gesundheitsministeriums vom 23.11.2021 - gezeichnet von Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher, abgesegnet und getragen von niemand anderem als Dietmar Woidke selbst.
Ebenjene Verordnung hatte der brandenburgische Ministerpräsident Dietmar Woidke am 23.11.2021 der Presse vorstellt. In der geänderten Corona-Verordnung des Landes Brandenburg vom 14.01.2022 wurde die gleiche Vorgabe erneut bestätigt. Für eine angeblich „Eigeninitiative“ der Landräte in den einzelnen Landkreisen dürfte es demnach - anders als im Corona-Untersuchungsausschuss von Woidke behauptet - überhaupt keinen Spielraum gegeben haben, weil die Landräte rechtlich an die Corona-Verordnung der Landesregierung gebunden waren. Liegt hier möglicherweise ein Fall von “Verantwortungsdiffusion nach unten” vor? Der bisher häufigere Fall im Ausschuss war, dass Verantwortung nach oben - etwa an die Bundesebene, die eigenen Vorgesetzten, das RKI, das PEI oder die STIKO - verlagert wurde. Nur: Dietmar Woidke war bislang der ranghöchste befragte Zeuge im Corona-Untersuchungssausschuss des Brandenburger Landtags. Wenn er Verantwortung nach oben hätte verlagern wollen, hätten ihm hierzu für den entsprechenden Zeitraum nur noch die ehemalige Bundeskanzlerin zur Verfügung gestanden.
Warum der augenscheinliche Versuch Woidkes, Verantwortung nach unten, auf die Landräte, zu verlagern? Sollte Woidke im Ausschuss gelogen haben - mit welcher Intention? Angesichts der Tatsache, dass er während der Ausschuss-Sitzung wiederholt stolz auf die hohe “Rechtssicherheit” der brandenburgischen Corona-Verordnung hingewiesen hatte: Hat Woidke möglicherweise juristische Bedenken, dass man seine “Ausgangssperren für Ungeimpfte” im Nachgang vielleicht doch noch juristisch noch anfechten könnte, ähnlich wie Markus Söders Ausgangssperren in Bayern? Versucht er deshalb, das heikle Thema “Ausgangssperren für Ungeimpfte” bei einer “Eigenverantwortung” seiner Landräte zu verorten - aber sich gleichzeitig väterlich-schützend vor sie zu stellen, indem er ihr hohes Verantwortungsbewusstsein lobte?
Um diese in meinen Augen nicht ganz unwesentlichen Fragen im Nachgang der letzten Ausschuss-Sitzung zu klären, habe ich eine Presseanfrage an das Büro des brandenburgischen Ministerpräsidenten Dietmar Woidke gestellt. Als Antwortfrist habe ich eine Woche, bis einschließlich Freitag, 22. März 2024 eingeräumt. Über den Verlauf der Presseanfrage werde ich zeitnah berichten.
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Eine interessante Aufarbeitung findet man hier - schon die 3 Statements am Anfang sagen sehr viel aus!
"Diskussionsveranstaltung an der Universität Graz vom 24.01.2024
"Gesellschaft im Ausnahmezustand - Was lernen wir aus der Coronakrise?"
mit Heinz Bude (Uni Kassel), Alexander Bogner (ÖAW Wien) und Klaus Kraemer (Uni Graz)
Moderation: Daphne Hruby..."
https://youtu.be/5j5WHi67-go?si=Y4zAxyTx3cU3CDWP
War und ist für Heinz Bude "Flatten the Curve" nur eine Art der gesellschaftlichen Beeinflussung durch "Scheinwissenschaft" - als legitim nutzbares Instrument!?
Es sind nicht Pandemien und Unwetter - die uns laut Bude bedrohen - es ist die Demografie, die aufzeigt, dass die Unbezahlbarkeit des Gesundheitssystems zu dessen Kollaps führen muss! Zudem wurde mit Corona dieses System finanziell massiv geschwächt!
Demographie - ein Problem - dem ab 1964 (1,4 Mio Geburten) mit dem vermeintlichen "Pillenknick" entgegengewirkt wurde!? 1971 war das letzte Jahr, in dem mehr Menschen in Deutschland geboren wurden als gestorben sind.
Siehe auch "Pro Familia" - gegründet 1952.
"Hans Harmsen (* 5. Mai 1899 in Charlottenburg; † 5. Juli 1989 in Bendestorf) war ein deutscher Sozialhygieniker und Bevölkerungswissenschaftler. Bis Ende des Zweiten Weltkrieges betrieb er Eugenik im Dienste der nationalsozialistischen Politik. Nach 1945 wurde er Professor an der Universität Hamburg. Er war Mitgründer, Präsident und schließlich Ehrenpräsident von Pro Familia." (Wikipedia)
Vielen Dank für deine unermüdliche Arbeit. Aber, willkommen im Kafka Land. Welchen Sinn macht es sich darüber zu unterhalten, ob Massnahmen angemessen waren oder nicht, wenn wir nicht darüber diskutieren ob wir überhaupt eine Pandemie hatten ? Wenn wir keine hatten, und das scheint ja der Fall zu sein, dann sind ALLE Massnahmen unverhältnismässig gewesen. Überall steht dieser Elefant im Raum, ach was, Herden von Elefanten, aber niemand sieht sie.