Christian Drosten vor dem Corona-Untersuchungsausschuss Sachsen: Faktencheck
Vor dem Corona-Untersuchungsausschuss in Sachsen gab Drosten zwei Fehleinschätzungen zu - einen weitaus größeren Teil an Irrtümern vertritt er jedoch weiterhin.

Es war voll am Freitag, dem 16. Mai auf der Besuchertribüne des Sächsischen Landtags, und reichlich Presse war erschienen, um dem Virologen Christian Drosten bei seiner ersten Anhörung als Sachverständigem beizuwohnen. „Anfahrtsbedingt“ war die Sitzung von 10 Uhr auf 11:30 Uhr verschoben worden – und es gab noch eine weitere Neuerung: Der Zutritt zum Plenarsaal, wo Journalisten bei vorangegangenen Ausschusssitzungen Interviews mit Sachverständigen führen konnten, war an diesem Sitzungstag für Journalisten untersagt. Interviews waren nur in den Gängen und im Foyer des Landtags erlaubt – doch dort ließ sich Christian Drosten gar nicht erst blicken. Während der zweistündigen Ausführungen Drostens fielen zahlreiche Statements, die inhaltlich fragwürdig waren - diese habe ich einem Faktencheck unterzogen. Da es sich bei Untersuchungsausschüssen um historisches Beweismaterial handelt, wird mein Bericht etwas umfangreicher ausfallen.
Vor der Fragerunde der Abgeordneten begann Christian Drosten seine Ausführungen mit einem achtminütigen Eingangsstatement, das er vorsichtshalber vom Blatt ablas. Schulschließungen rechtfertigte er mit Blick auf mögliche Folgeschäden der Kinder nach einer Covid-19 Erkrankung. Als Grund für die „geringe Sterblichkeit“ in Deutschland in der ersten Welle nannte er die von ihm entwickelten PCR-Tests. Die anfängliche Sterblichkeit von Covid-19 gab er mit einem Prozent an - die Impfung habe die Sterblichkeit reduziert. Gemäß der Verordnung des Landtags darf das Eingangsstatement von Sachverständigen mitgeschnitten werden, deshalb kann ich es an dieser Stelle in voller Länge zur Verfügung stellen. Zum besseren Verständnis habe ich den Klang verbessert und das Video untertitelt - die Originalversion des Videos findet sich hier.
Ab wann wusste man was?
In der anschließenden Fragerunde wollte die CDU-Abgeordnete Leithoff von Drosten wissen, wann das Virus insoweit erforscht gewesen sei, dass man seine Gefährlichkeit habe abschätzen können. Daraufhin sprach Drosten zunächst recht allgemein über die verschiedenen Phasen der Pandemie: Das Virus habe sich stets verändert - das sei die große Schwierigkeit gewesen. Die größte und wichtigste Veränderung sei die Omikron-Variante gewesen, die Ende 2021, Anfang 2022 auftrat. Aber schon bei früheren Varianten habe es leichte Änderungen gegeben, etwa eine leichte Immunflucht bei Delta.
Drosten mutmaßte, was die Abgeordnete „wohl eigentlich habe fragen wollen“: „Fundamentale Dinge“ – etwa, ab wann man wusste, dass Kinder weniger Symptome aufweisen als Erwachsene, und ältere Menschen stärker beeinträchtigt sein würden. Das sei ab März bis April 2020 der Fall gewesen. Ende Januar bis Anfang Februar 2020 sei klar gewesen, dass sich das Virus auch asymptomatisch übertrage.
Schulschließungen
An dieser Stelle kam Drosten von selbst auf das Thema „Schließung von Bildungseinrichtungen“ zu sprechen. Die leitende Frage hierbei sei gewesen: Gibt es Folgeerkrankungen für Kinder, von denen wir jetzt noch nichts wissen? Am Beispiel der Kinderkrankheit Mumps führte Drosten aus, dass es Wochen bis Monate nach einer überstandenen Erkrankung noch zu gravierenden Folgeerscheinungen kommen könne: Etwa Pankreas-Infektionen, und darauf aufbauend Typ-Eins-Diabetes. Bei Jungen könne es zu einer Entzündung des Hodengewebes und im schlimmsten Fall sogar zu lebenslanger Unfruchtbarkeit kommen.
Solche “Drohszenarien” seien in Expertenkreisen jetzt zwar nicht ganz oben auf der Tagesordnung diskutiert worden, aber wenn man Experte für Infektionskrankheiten sei, berücksichtige man solche Dinge. Man sage das nicht in der breiteren Öffentlichkeit, um diese nicht zu verängstigen. Politischen Entscheidungsträgern seien solche Dinge aber mitgeteilt worden. Rückblickend sei es nun nicht mehr so leicht nachvollziehbar, dass solche Vorsichtsüberlegungen bei Kindern bestanden hätten. Eine massenhafte Durchseuchung der Kinder und Jugendlichen habe in Deutschland erst in der Omikron-Zeit Anfang 2022 stattgefunden. Erst danach habe man wirklich sagen können, dass es für die Kinder gut ausgegangen sei.
Zwar hätten bereits im Mai 2020 Zahlen aufgezeigt, dass Kinder nur an drei Prozent der Infektionen beteiligt seien, während sie 13 Prozent der Bevölkerung ausmachen, womit Kinder beim Infektionsgeschehen unterrepräsentiert gewesen seien. Andererseits hätte man auch schon früh gewusst, dass Kinder weniger Symptome entwickeln, so dass die „fehlenden zehn Prozent“ möglicherweise nur nicht diagnostiziert worden seien. Er wolle damit demonstrieren, wie „wackelig“ die Datenlage damals gewesen sei. Zudem habe für Kinder die Gefahr eines „multisystemischen Entzündungssyndroms“ im Raum gestanden: Einer rheuma-artigen Erkrankung, die Ähnlichkeiten mit dem Kawasaki-Syndrom aufweise.
Die CDU-Abgeordnete Leithoff wandte hierauf ein, die„wackelige Datenlage“ mache es für sie gerade etwas schwierig greifbar. Drosten entgegnete: „Das war es für mich damals auch.“
Drostens Aussagen zu den Gründen für die Schulschließungen bedürfen einer Einordnung. Die Schulschließungen in Deutschland basierten maßgeblich auf seinen eigenen Empfehlungen, was er jedoch bis heute abstreitet. Anfangs war Drosten noch skeptisch gegenüber Schulschließungen, aber nachdem ihm eine Kollegin einen Artikel über die Spanische Grippe geschickt hatte, bei der Schulschließungen einen Effekt gezeigt hatten, änderte er laut eigener Darstellung seine Meinung dazu. In seiner Podcast-Folge vom 12. März 2020 mit dem unmissverständlichen Titel “Schulen schließen und Gemeinden unterstützen” beschrieb Drosten seine zentralen Erkenntnisse aus dem Artikel:
„Man kann also sagen: Amerikanische Städte zur Zeit der Spanischen Grippe haben am meisten davon profitiert, wenn der Bürgermeister schnell gesagt hat: „Alle Schulen zu, keine Veranstaltungen mehr, und zwar sofort!“ Das müssen wir sehr ernst nehmen.“
„Es gibt Maßnahmen, die sind nur jetzt, am Anfang des Geschehens, nützlich und sinnvoll. Später braucht man damit nicht mehr zu arbeiten. Und gerade diese zwei Haupt-Maßnahmen, die auch die Politik im Moment diskutiert: Social Distancing, also keine Veranstaltungen mehr, und das Schließen von Schulen. Diese beiden Maßnahmen werden nur jetzt, am Anfang der pandemischen Welle, einen wirklichen, durchschlagenden Erfolg haben, in dem sie die pandemische Welle auch längerfristig verzögern und die Zahl von Patienten im Gipfel der Fälle absenken. Und das ist etwas, das wir jetzt machen müssen.“
Ebenfalls am 12. März 2020 beriet Drosten zusammen mit RKI-Präsident Lothar Wieler und Charité-Leiter Heyo K. Kroemer die von Angela Merkel einberufene erste Ministerpräsidentenkonferenz und stellte dort den Artikel zur Spanischen Grippe vor. Am gleichen Tag tagte die Kultusministerkonferenz und beratschlagte über Schulschließungen, legte aber noch nichts verbindlich fest. Ab dem 13. März 2020 beschloss wie von Zauberhand ein Bundesland nach dem nächsten Schulschließungen, die ab dem 16./ 17. März 2020 bundesweit in Kraft traten und bis nach den Osterferien andauerten.
Im Rückblick erscheinen die bundesweiten Schulschließungen besonders unverständlich vor dem Hintergrund der RKI-Protokolle: Der RKI-Krisenstab hatte sich noch am 11. März 2020 ausdrücklich gegen flächendeckende Schulschließungen ausgesprochen: “Schulschließungen in besonders betroffenen Gebieten, reaktive Schulschließungen in Gebieten die nicht besonders betroffen sind, sind nicht empfohlen.“
Am 29. April 2020, einen Tag vor einer erneuten Ministerpräsidentenkonferenz, legte Drosten plötzlich eine Viruslast-Studie der Charité vor, die besagte, dass Kinder eine vergleichbar hohe Viruslast aufwiesen wie Erwachsene. Wie er in seiner Podcast-Folge 37 selbst zugab, hatte er die Studie in nur wenigen Tagen zusammen mit Kollegen in einer „Blitzaktion“ verfasst:
”In einer Blitzaktion habe ich vorgestern nach dem Podcast die Mitarbeiter dort im Labor gebeten, mir alle Daten zusammenzustellen. Ich habe mit einem Mathematiker, der bei mir im Institut arbeitet, Terry Jones, am Dienstagnachmittag und am ganzen Mittwoch die Daten analysiert. Wir haben die am Mittwochnachmittag, das war gestern, zusammengeschrieben, das Manuskript, das wir dann veröffentlicht haben. (.) Das ist innerhalb von ein paar Stunden geschrieben worden. Die Auswertung, das Endergebnis, ist, was die Laborseite angeht, glasklar, wir haben eine ganz saubere statistische Analyse gemacht. Und diese statistische Analyse sagt: Wir können in Kindergruppen nicht nachweisen, dass die gegenüber Erwachsenen unterschiedliche Viruskonzentration in den Atemwegen haben.”
Er warnte in der ersten Version der Studie vor einer „uneingeschränkten Wiedereröffnung von Kitas und Schulen“ - „an unlimited reopening of schools and kindergartens in the present situation“, was eine direkte politische Empfehlung darstellte. Beim Corona-Untersuchungsausschuss in Sachsen sprach sich Drosten an anderer Stelle für eine strikte Trennung der Rollen von Politik und Wissenschaft aus - wobei er eigene politische Empfehlungen in der Vergangenheit nicht kritisch reflektierte.

Die ursprüngliche Version der Viruslast-Studie wurde im Verlauf der Monate stark abgeändert: Die Warnung vor einer Wiedereröffnung von Schulen und Kitas wurde aus späteren Versionen wieder herausgenommen. Die erste Version der Studie hatte jedoch aufgrund des Timings kurz vor der Ministerpräsidentenkonferenz einen besonders großen Einfluss auf die Politik. Auch wenn es von Drosten nicht beabsichtigt war, trug sie zu einer Stigmatisierung von Kindern als Virusüberträgern bei und beeinflusste den politischen Umgang mit Kindern in Richtung strengerer Maßnahmen.
In einer Leopoldina-Stellungnahme vom 08. Dezember 2020 empfahl Drosten zusammen mit anderen Wissenschaftlern eine “Aufhebung der allgemeinen Schulpflicht” ab dem 14. Dezember, was einer Aufhebung der Präsenzpflicht gleichkommt, und eine Verlängerung der Weihnachtsferien bis zum 10. Januar 2021 - erneut eine klare politische Empfehlung für länger geschlossene Schulen.
An keiner Stelle begründete Drosten damals Schulschließungen in der Öffentlichkeit mit einer Sorge um mögliche Covid-19-Folgeerkrankungen der Kinder. Stattdessen sprach er in Podcast-Folge 68 im Dezember 2020 von einer angeblichen „Netzwerkfunktion“ der Bildungseinrichtungen als Überträger „zwischen Altersgruppen“: “(.) Wechselspiel, Ping-Pong-Effekt. Also von dem einen Kind in die Familie getragen, vom Geschwisterkind in eine andere Klasse getragen - was dann diese typische Netzwerk-Funktion der Schule zwischen Altersgruppen ausmacht”.
Vor dem Corona-Untersuchungssausschuss Sachsen lautete sein Argument, er hätte Bedenken um Folgeerkrankungen der Kinder nur intern vor politischen Entscheidungsträgern geäußert. Doch selbst wenn dies zutrifft, wirft eine solche Vorgehensweise Fragen auf: Wie gerechtfertigt ist es, Bedenken, die Kinder und ihre Eltern betreffen, über die Köpfe der Menschen hinweg nur mit Politikern zu besprechen? Wie überzeugend ist es, dass er dies tat, um Leute nicht zu verängstigen, während gleichzeitig sehr großzügig mit Angst gearbeitet wurde, um eine Folgebereitschaft zu den Corona-Maßnahmen zu erzielen, wie etwa das sogenannte “Panikpapier” des Bundesinnenministeriums belegt? Drostens Argument, er habe seine Bedenken um die Kinder nur vor hochrangigen Politikern geäußert, erscheint unplausibel und stellt vor weitere Rätsel.
Öffentlich wurde die Schließung der Schulen damit begründet, dass dies zur Eindämmung des Infektionsgeschehens beitragen würde: „Flatten the curve – die Kurve abflachen” - so lautete damals die Devise, bei der alle mitmachen sollten. Gleichzeitig wurde das angsterzeugende Narrativ verbreitet, Kinder würden das Virus aus der Schule mitbringen und damit ihre Eltern und Großeltern anstecken. „Kinder werden zur Gefahr für ihre Eltern“ - so lautete eine vielzitierte Schlagzeile des Nachrichtenmagazins Der Spiegel, die nach öffentlicher Kritik in „Passt gut auf euch und eure Kinder auf” abgeändert wurde.
Allein ein kurzer Abriss der Medienberichterstattung des Spiegels zu Kindern in den Corona-Jahren zeigt auf, dass nicht das Wohl der Kinder im Fokus stand, sondern die Sorge vor Kindern als möglichen Infektionsquellen – und das, obwohl das RKI bereits im Februar 2020 auf Grundlage chinesischer Daten wusste, dass Kinder keine relevanten Glieder in Corona-Infektionsketten darstellen. Bereits am 26. Februar 2020 berichtete der RKI-Mitarbeiter Tim Eckmans nach seiner WHO-China-Reise von seinen Erkenntnissen im RKI-Krisenstab:
„Kinder 2 % der Fälle in großer Studie, Kinderkrankenhaus bestätigt alle ohne Komplikationen, auch in Transmissionsketten nicht prävalent; Schulen, Kitas stehen nicht im Vordergrund, Kinder keine wichtigen Glieder in Transmissionsketten (.) Rolle der Kinder eher untypisch untergeordnet (anders als Influenza).“
Die Begründung der Corona-Maßnahmen und die Hintergrundimmunität
Bei den Corona-Maßnahmen in der ersten und zweiten Welle sei es laut Drosten um die Verhinderung einer „sehr direkten Mortalität für die Bevölkerung“ gegangen. Das Virus habe sich unkontrolliert verbreitet - bei Covid-19 habe es „gar keine“ Immunität in der Bevölkerung gegeben. Die Verdopplungszeit habe im Bereich von fünf bis sieben Tagen gelegen. Man habe damals nicht auf Grundlage von Erfahrungswerten sagen können, dass diese Verdopplung irgendwann von selbst aufhören würde. Wenn man das ausgehend von der Zahl Zehn einmal durchrechne, auf Basis einer Exponentialfunktion der Basis Zwei, käme man in „schlimme Zahlenvorstellungen“ hinein. Diese Zahl habe die Zahl der vorhandenen Intensivbetten in Deutschland um ein Vielfaches überstiegen.
Außerdem habe es die realen Szenarien in New York, Norditalien, England oder Spanien gegeben, wo mit Maßnahmen zu lange gewartet worden sei. Diese Information sei „nicht von einer einzelnen Wissenschaftsperson, sondern von vielen Stellen aus der Wissenschaft und einer Betrachtung der Realität in anderen Ländern“ gekommen.
Diese Aussagen Drostens bedürfen einer Einordnung. Unendliches exponentielles Wachstum gibt es bei keiner einzigen Viruserkrankung. Namhafte Immunologen, etwa Andreas Radbruch, widersprechen der Behauptung, das Coronavirus sei auf eine vollkommen immunologisch naive Bevölkerung gestoßen. Bereits im April 2020 erschien eine Nature-Studie von Thiel et al., an der sogar Christian Drosten beteiligt war, die zu dem Ergebnis kam, dass in 34 Prozent der Probanden bereits reaktive T-Zellen gegen SARS-CoV-2 vorlagen, obwohl diese nie zuvor Kontakt mit dem Coronavirus hatten. Drosten selbst sprach in Folge 35 seines Podcasts von dieser Studie, und der „überraschenderweise, vielleicht auch nicht so überraschend“ vorhandenen Kreuzimmunität mancher Probanden gegen das Coronavirus:
„Und überraschenderweise – oder für viele, die sich auskennen, vielleicht auch nicht so überraschend – hat man gesehen, dass in 34 Prozent der Patienten reaktive T-Zellen vorliegen, obwohl diese Patienten nie Kontakt mit dem SARS-2-Virus hatten. (.) „Dass eine gewisse Hintergrundimmunität in der Bevölkerung besteht.“

Bei einer Auseinandersetzung auf X, vormals Twitter, zwischen Christian Drosten und dem Journalisten Bastian Barucker zum Thema Hintergrundimmunität, behauptete Drosten, eine „geringe zelluläre Kreuzimmunität“ sei nicht gleichzusetzen mit der Hintergrundimmunität, die eine Bevölkerung brauche, um wirklich immun zu sein – hier helfe nur die Impfung. Auf Baruckers lesenswerte Gegenfragen kam von Drosten keine Antwort mehr.

Es ist unklar, wie Drosten zu seiner Behauptung von „gar keiner“ vorhandenen Immunität in der Bevölkerung vor dem Sächsischen Corona-Untersuchungsausschuss kommt. Er hätte, ähnlich wie gegenüber Barucker, von einer nicht ausreichenden Immunität der Bevölkerung sprechen können. Aber mit “gar keiner“ Immunität in der Bevölkerung widerspricht Drosten sogar eigenen Aussagen und Studien.
Drosten möchte nicht als „Architekt der deutschen Corona-Bekämpfungsstrategie“ gelten
Der AfD-Abgeordnete Prantl listete politische Gremien auf, an denen Drosten teilgenommen hatte: Ministerpräsidentenkonferenzen, Corona-Expertenrat der Bundesregierung, Sachverständigenausschuss zur Evaluation des Infektionsschutzgesetzes, sowie der Beraterstab der EU-Kommission zu Covid-19. Drosten gelte als „Architekt der deutschen Corona-Bekämpfungsstrategie“. Der Abgeordnete wollte von Drosten wissen, ob er „heute auch eine kritische Distanz zu eigenen Empfehlungen“ habe.
Drosten antwortete, diese Darstellungen seien nicht ganz zutreffend. Bei der Ministerpräsidentenkonferenz sei er nur zwei bis drei Mal zugeschaltet gewesen, demnach nur bei einem kleinen Teil der Sitzungen, und immer zusammen mit anderen Wissenschaftlern. Der Eindruck, den Prantl da hätte, sei „medial“. Der Begriff „Architekt von irgendwas“ sei vollkommen unzutreffend - das sei auch ganz klar belegt. Er habe keinerlei Veranlassung dazu, irgendetwas von dem, was er damals klar belegt öffentlich gesagt habe, heute anders zu interpretieren. Das würde natürlich nicht heißen, dass alles, was er damals gesagt habe, hundertprozentig richtig gewesen sei – etwa, wenn im Nachhinein ein Zahlenwert anders geschätzt worden sei.
Prantl setzte zu einer weiteren Frage an, die akustisch kaum zu verstehen war. Drosten fuhr dazwischen: „Stellen Sie sich vor, ich würde die Wichtigkeit nicht verstehen, würde ich dann anders antworten?“ Eine weitere, akustisch unverständliche Frage des Abgeordneten wurde vom Vorsitzenden des Aussschusses, Andreas Nowak, abgelehnt - mit einem Verweis darauf, dass Herr Drosten als Sachverständiger, nicht als Zeuge geladen sei. Zeugen müssen über persönliche Erinnerungen an Vorgänge, bei denen sie beteiligt waren, aussagen, Sachverständige sollen Expertise aus dem eigenen Fachgebiet beisteuern.
Der Ursprung des Coronavirus und Drostens eigene „Gain-of-Function“-Forschung
Der AfD-Abgeordnete Prantl stellte davon gänzlich unbeeindruckt weitere „Zeugen-Fragen“: Ob Drosten selbst an „Gain-of-Function“-Forschung beteiligt gewesen sei, und wie dessen Meinung zum Ursprung des Coronavirus laute. Drosten antwortete, Gain-of-function und Loss-of-function seien zwei Ansätze aus der Grundlagenforschung der funktionellen Genetik, um einzelne Genfunktionen zu studieren. Diese Art der Forschung müsse nicht zwangsläufig an Viren erfolgen. Was der Abgeordnete mit seiner Frage wahrscheinlich impliziere, seien „Gain-of-Function“-Versuche an Viren – diese würde sein Labor nicht machen. Es handele sich um eine häufige Begriffsverwechslung in der Öffentlichkeit. Er habe dies mehrfach gegenüber der Presse erklärt, aber wenn es nicht berichtet würde, könne man es auch nirgendwo lesen.
Zwar habe der Ursprung des Coronavirus nicht direkt etwas mit dem Gegenstand des Untersuchungsausschusses zu tun, denn es handele sich um ein und dasselbe Virus, und dieselben damit einhergehenden Kontrollmaßnahmen, um die es im Ausschuss ginge. Dennoch sei die Frage des Abgeordneten berechtigt und er beantworte sie gerne. Er wüsste selbst gern, wie das Coronavirus entstanden sei und wisse es nicht. Für beide Theorien, Zoonose und Laborursprung, gebe es eine Reihe von Indizien, aber keine eindeutigen wissenschaftlichen Beweise. „Vermutungskomplexe“ ließen sich nicht überprüfen und beweisen. Das sei jedoch die Grundvoraussetzung für eine wissenschaftliche Einschätzung. Über Gerüchte zu sprechen sei nicht das Metier eines Wissenschaftlers.
Drosten führte aus, die neu hinzugewonnene Eigenschaft des Coronavirus komme in fast allen Erkältungsviren vor, daher handele es sich nicht plötzlich um ein „künstliches Virus“, das man völlig anders kontrollieren müsse. Immunreaktionen, Impfstoffe und Tests wären bei einem Laborvirus nicht anders als bei einem natürlichen Virus. Er könne das Informationsbedürfnis der Bevölkerung gut verstehen und täte alles dafür, um die Ursache zu erfahren - er hätte auch keinerlei persönlichen Befangenheiten bei dem Thema. In Deutschland sei diese Art der Forschung gut reguliert, aber das sei nicht in allen Ländern der Fall. Daher sei er überzeugt von einer Notwendigkeit einer strikteren Regulierung in diesem Bereich.
Die Aussage Drostens, er habe „keinerlei persönlichen Befangenheiten“ beim Thema des Corona-Ursprungs bedarf einer kritischen Einordnung. Vorangestellt ist zu erwähnen, dass Drosten selbst “Gain-of-Function”-Forschung betreibt. Seine Aussage, er würde diese nicht an Viren betreiben, steht unter einem Fragezeichen, da er einen Forschungsverbund namens “RAPID” koordinierte und in diesem Rahmen auch ein eigenes Teilprojekt an Mers-Viren durchführte, bei dem “Gain-of-Function”-Forschung zum Einsatz kommen sollte. Im Projektantrag dazu heißt es auf Seite 16:
„In spite of the gain-of-function approach in these experiments, we believe that we will not create viruses with increased virulence and DURC potential.”
“Trotz des Gain-of-Function-Ansatzes in diesen Experimenten glauben wir, dass wir keine Viren mit erhöhter Virulenz und DURC-Potenzial erzeugen werden.”
Die Formulierung im Projektantrag legt nahe, dass zwar durchaus eine Arbeit mit ganzen Erregern geplant war, diesen jedoch kein pandemisches Potenzial zugestanden wurde. Der Hamburger Nanowissenschaftler Roland Wiesendanger wirft Christian Drosten daher “Gain-of-Function”-Forschung an Mers-Viren vor. Die Charité hingegen bestreitet, Experimente zur Erhöhung der Virulenz oder Übertragbarkeit von Viren durchzuführen, wie der Cicero sie aus einem Schreiben der Berliner Senatsverwaltung zitierte.

Auch wenn Drosten nicht direkt in den Corona-Ursprung verwickelt ist - wovon angesichts des aktuellen Sachstands auszugehen ist - betrifft ihn die damit verbundene Debatte dennoch indirekt: Denn ob Corona aus der Natur oder einem Labor kommt, ist nicht unerheblich für die Bedeutung seines eigenen Lebenswerks. Wenn Corona aus der Natur kommt, wertet das die “Gain-of-Function“-Forschung insgesamt auf. Wenn Corona jedoch aus einem Labor stammt und die “Gain-of-Function”-Forschung das Problem selbst kreiert hat, steht ihre Daseinsberechtigung zur Disposition.
Hinzu kommt, dass Drosten mit einigen Protagonisten, die als in den Corona-Ursprung verwickelt gelten - etwa Peter Daszak, Ralph Baric, und Vincent Munster - persönlich bekannt ist. Die Welt der Top-Virologie ist klein: Man kennt sich von internationalen Konferenzen, man schätzt sich. Ein gemeinsamer Interessenkonflikt, das eigene Forschungsfeld vor öffentlicher Kritik und strengeren Regularien abzuschirmen, liegt in der Natur der Sache. Schon 2012, bei der ersten aufkeimenden Debatte über “Gain-of-Function”-Forschung nach den umstrittenen Aerosolversuchen seines niederländischen Kollegen Ron Fouchier, plädierte Drosten in einem Gastartikel der FAZ dafür, die Gesellschaft müsse die Risiken der “Gain-of-Function"-Forschung aushalten, da ihr Nutzen das Schadpotenzial überwiege.

Was Drosten vor dem Ausschuss ebenso unerwähnt lässt, ist die Tatsache, dass er die letzten Jahre vehement die Zoonose-Theorie vertrat, und sämtliche Theorien zum Laborunfall von Anfang an als Verschwörungstheorien brandmarkte. Selbst Drostens Kollegen, Top-Virologen, die mit ihm an der berüchtigten Telefonkonferenz von Anthony Fauci am 01. Februar 2020 teilnahmen, fühlten sich von seiner starken Meinung gegen die Laborhypothese unter Druck gesetzt, wie ein später freigeklagter, privater Slack-Chat der Virologen beweist.
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Unmittelbar nach der Telefonkonferenz mit Drosten und Fauci kommentierte der Virologe Kristian G. Andersen, der zuvor Bedenken um einen nicht natürlichen Ursprung des Virus in den Raum gestellt hatte, im internen Chat vor drei Kollegen, dass Ron Fouchier und Christian Drosten ihn nun vermutlich für einen Crackpot, einen Spinner, halten würden. Er vermutete, dass Fouchier und Drosten aufgrund eigener Interessenkonflikte nicht in Richtung eines Laborunfalls denken konnten: „Both Ron and Christian are much too conflicted to think about this issue straight.“ - sinngemäß übersetzt: Sowohl Ron (Fouchier) als auch Christian (Drosten) sind zu stark in Interessenkonflikte verwickelt, um sich dieser Angelegenheit sachlich widmen zu können.
Im Email-Verkehr des Gremiums mit Anthony Fauci zeigte sich Drosten entrüstet, dass die Labortheorie immer noch verfolgt würde. Am 09. Februar 2020 fragte er in die Runde:
”Kann mir jemand bei einer Frage helfen: Haben wir uns nicht versammelt, um eine bestimmte Theorie zu hinterfragen und sie gegebenenfalls zu verwerfen? Der gesamte Text liest sich, als wäre die Hypothese offensichtlich oder von einer externen Quelle aufgebracht worden, die uns zu einer Reaktion zwingt. Ist das der Fall? Es scheint nicht so, als wäre dies mit dem HIV-Nonsens verbunden. Wer kam ursprünglich auf diese Geschichte? Arbeiten wir daran, unsere eigene Verschwörungstheorie zu widerlegen?”
Woraufhin ihm seine Kollegen Eddie Holmes und Kristian G. Andersen zusicherten, ihre Bedenken um einen möglichen Laborursprung hätten nichts mit dem “HIV-Nonsens” zu tun - die Geschichte sei größer als das. Sie würden gerade an einem Dokument arbeiten, das noch nicht reif für eine Veröffentlichung sei. Man versuche, einen Laborursprung auszuschließen, aber momentan spreche die vorliegende Evidenz noch nicht gegen eine der Theorien - “Quellen 12 bis 15” würden auf einen Laborursprung hinweisen.
Drosten entgegnete mit unverhohlenem Sarkasmus, solche “informellen” Quellen sollte man dann - er spricht sogar von “wir” - aber in der Einleitung des Textes bringen, anderenfalls würde der Text sich “lustig lesen” - ergo, sei unseriös. Inhaltlich ging er nicht weiter auf die Argumente seiner Kollegen ein. Der von seinen Kollegen in der Email erwähnte Text wurde am 17. März 2020 unter dem Titel “The proximal origin of SARS-CoV-2” veröffentlicht - ohne Christian Drosten. Das Papier übernahm aber dessen These, dass ein Laborursprung “unplausibel” sei - entgegen der ursprünglichen Annahme der vier Autoren.
In einem weiteren freigeklagten Email-Verkehr schrieb der damalige NIH-Direktor Francis Collins an Jeremy Farrar, er halte die Zoonose-Theorie für wahrscheinlich - “though the arguments from Ron Fouchier and Christian Drosten are presented with more forcefulness than necessary” - zu Deutsch: “obwohl die Argumente dafür von Ron Fouchier und Christian Drosten mit mehr Vehemenz als nötig vorgetragen wurden”.
Ebenfalls im Februar 2020 unterzeichnete Drosten gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern einen umstrittenen Brief im Wissenschaftsjournal Lancet. Die Autoren bezeichneten darin Theorien, die einen Laborunfall als mögliches Ursprungsszenario nahelegten, als „Verschwörungstheorien“: „Wir verurteilen gemeinsam auf das Schärfste Verschwörungstheorien, wonach Covid-19 keinen natürlichen Ursprung habe“, heißt es in dem Schreiben.
Drostens Unterstützung dieser Zeilen - zu einem Zeitpunkt, wo noch kein Wissenschaftler auf Grundlage der vorliegenden Evidenz eine der beiden Theorien ausschließen konnte, wurde stark kritisiert - sogar von seinem eigenen Ko-Autor, dem SZ-Journalisten Georg Mascolo, in ihrem gemeinsamen Buch „Alles überstanden?“. Im Kapitel „Da gibt es doch gar nichts zu verbergen – Verschwörungsmythen“ sagt Mascolo zu Drosten:
„Für diese Ehrenerklärung [im Lancet, Anmerkung A.V.] gilt mein bereits angeführtes Argument: Sie hat dazu beigetragen, die Laborthese als reine Verschwörung abzutun.“
Drosten rechtfertigte seine Unterzeichnung des Briefes damit, er habe Kollegen in China unterstützen wollen, die sich damals mit Vorwürfen aus der ganzen Welt konfrontiert sahen:
„Ich wurde bei der letzten Präsenzsitzung der WHO in Genf in die Gruppe der Unterzeichner geholt. Auf dem Weg zum Flughafen am 12. Februar 2020 sprach mich Peter Daszak an und sagte, dass die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in China »unter Feuer« stünden. Sie seien auf Solidarität angewiesen, und ich dachte: Na klar. Da ist ja null Evidenz dafür, dass das Virus aus dem Labor kommt. Wenn das den Kolleginnen und Kollegen in Wuhan jetzt öffentlich vorgeworfen wird, muss man sie in Schutz nehmen. Ich sagte: »Schick mir das Manuskript«, und das machte er auch. Und ich fand das alles völlig in Ordnung.”
”Ich habe damals, wie viele andere in der Wissenschaft auch, meine Hand für die chinesischen Kolleginnen und Kollegen ins Feuer gelegt. (.) Der Tenor war die Solidaritätsbekundung. In dem Papier steht, dass die Gruppe der Unterzeichner Verschwörungstheorien ablehnt, nach denen das Virus einen nicht-natürlichen Ursprung habe. Die Tatsache, dass wir diese Ideen als »Verschwörungstheorien« bezeichnet haben, wurde dann viel später vor allem in den USA zu der Geschichte entwickelt, wir hätten damit jeglicher wissenschaftlichen Befassung mit der Laborthese einen Riegel vorgeschoben. Dabei wurde der Begriff damals auch in US-Leitmedien verwendet. Nur weil eine Gruppe von Wissenschaftlern eine Meinung äußert, ist natürlich überhaupt nichts blockiert in der Wissenschaft.“Mascolo: „Aber die Berichterstattung der Medien wurde durch das Papier stark beeinflusst. Da bleiben wir unterschiedlicher Meinung.“
Aus: Mascolo/ Drosten: „Alles überstanden?“ Ullstein Verlag, 2024
Im Zusammenhang mit dem umstrittenen „Lancet Brief“ ist auch zu erwähnen, dass dieser von niemand Geringerem als Peter Daszak initiiert wurde. Daszak ist der Leiter der NGO „EcoHealth Alliance“, einem regelmäßigen Auftragnehmer der ehemaligen Entwicklungsbehörde USAID, des US-Gesundheitsministeriums NIH, sowie des US-Verteidigungsministeriums. Die millionenschweren Projekte drehten sich um Gain-of-Function-Forschung im Rahmen der Pandemieprävention. EcoHealth Alliance brachte dabei amerikanische Spitzenforschung mit chinesischen Datensätzen zusammen.
Daszak gilt als stark involviert in die mutmaßliche Entstehungsgeschichte von COVID-19. Im Mai 2024 wurde seiner NGO „EcoHealth Alliance“ vom Corona-Untersuchungsausschuss des Weißen Hauses ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt und infolgedessen seitens der US-Gesundheitsbehörde „National Institutes of Health“ (NIH) sämtliche Fördermittel entzogen. Im Februar 2020 zog Daszak es vor, den von ihm initiierten Brief lieber nicht mit zu unterzeichnen, und riet dies auch seinem Kollegen, dem Virologieprofessor Ralph Baric von der University of North Carolina (UNC). Baric war einverstanden: „Ich denke, das ist eine gute Entscheidung. Sonst wirkt es selbstdienlich und wir verlieren Einfluss“. Es lässt sich festhalten, dass Drosten im Februar 2020 einen Brief unterzeichnete, dessen Initiatoren in massive Interessenkonflikte rund um den Corona-Ursprung verwickelt waren.
Erst seit letztem Jahr, insbesondere seit den BND-Enthüllungen, die das offizielle Narrativ der Zoonose erschütterten, zeigte Drosten sich offener gegenüber beiden Ursprungsszenarien: „Je mehr Zeit vergeht, desto kritischer werde ich“ sagte er in einem Interview mit der Taz, bezugnehmend auf die in seinen Augen mangelnden Transparenzbemühungen Chinas bei der Aufklärung des Ursprungs. Der Jenaer Genetikwissenschaftler Günter Theißen ist davon überzeugt, dass Drosten maßgeblichen Anteil daran hatte, dass die unter anderem vom BND vertretene Labortheorie sich in Deutschland so lange nicht durchsetzen konnte:
“Die deutsche Regierung hat ihrem Geheimdienst möglicherweise nicht vertraut. Das könnte am damals durchsetzungsfähigsten deutschen Virologen Christian Drosten gelegen haben. Er führte die Speerspitze derer an, die die Labortheorie als ‘Verschwörungstheorie’ denunzierten.”
In Anbetracht seiner vehementen Ablehnung der Laborthese von Anfang an, sogar im engsten Kollegenkreis, zu einem Zeitpunkt, als man diese noch nicht mit wissenschaftlicher Sicherheit ausschließen konnte, seiner eigenen Gain-of-Function-Forschung, sowie seinen personellen Verbindungen muss Drostens Behauptung, er habe “keinerlei persönlichen Befangenheiten” beim Thema Laborursprung, mit einem großen Fragezeichen versehen werden.
Drostens mediale und politische Rolle in der Pandemie
Die BSW-Abgeordnete Biebrach stellte eine Frage zu Drostens Aufgabenbereich in der Pandemie: Ob er erläutern könne, in welchen Funktionen er forschend und beratend tätig gewesen sei. Er sei ja „sehr präsent“ gewesen.
Drosten antwortete, das sei zum einen darauf zurückzuführen, dass er spezifisch am Thema Coronaviren arbeite, und es dazu nur sehr wenige Experten in Deutschland gebe. Darum habe er sich „verantwortlich gefühlt“. Er habe 20 Jahre lang steuerfinanzierte Forschung gemacht - irgendwann müsse man dem Steuerzahler dann auch mal etwas zurückgeben. Auf diese Aussage hin brach auf der Besuchertribüne Gelächter aus – nach T-Online-Darstellungen „höhnisches Gelächter“.
Drosten ließ sich keine Irritation anmerken und fuhr fort: Als im Januar 2020 die ersten Presseanfragen eintrafen, sei er bereit gewesen, seine Zeit für Medien zu „opfern“. Die medialen Anfragen seien in kürzester Zeit jedoch soviel geworden, dass er eine Handhabe dafür habe finden müssen. Daher habe er bereitwillig der Anfrage des NDR eines wöchentlichen Podcast-Formats zugestimmt. Infolgedessen habe es viele „Entnahmen“ aus seinem Podcast durch andere Medien gegeben, was den Eindruck erweckte, er hätte sehr viel mediale Aktivität entfaltet – dem sei aber nicht so gewesen. Er sei nur in wenigen Talkshows aufgetreten und habe nur ausgewählte Zeitungsinterviews gegeben. Die Wahrnehmung der Abgeordneten, er sei medial „sehr präsent“ gewesen, teile er nicht.
Drostens Rolle in der Politikberatung
Ein anderes Thema sei die Politikberatung. Die erste Beratung, an der er teilgenommen habe, habe im Januar 2020 unter Einbeziehung des Robert-Koch-Instituts beim Auswärtigen Amt stattgefunden. Er leite das Konziliarlabor für Coronaviren für Deutschland, das inzwischen auch das nationale Referenzzentrum sei. Dieses würde vom Bundesgesundheitsministerium finanziert und berate das Bundesgesundheitsministerium sowie das Robert-Koch-Institut bei Spezialfragen zum Virus. Im März 2020 habe er zusammen mit anderen Wissenschaftlern an einer Ministerpräsidentenkonferenz teilgenommen und dort ein zehnminütiges Kurzreferat gehalten.
Ab Mai 2020 habe er an einer „persönlichen Austauschgruppe“ mit Angela Merkel teilgenommen - erneut zusammen mit einer ganzen Reihe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Es habe sich um einen eher informellen Austausch für das persönliche Verständnis der Kanzlerin gehandelt. Zudem sei er mehrfach während der Pandemie von parlamentarischen Gruppen angefragt worden, Kurzreferate zu halten. Während der gesamten Pandemiezeit seien das aber sicherlich weniger als 15 bis 20 gewesen - das müsse er schätzen. Seine intensive Politikberatung habe vor allem in der ersten Phase der Pandemie stattgefunden, über den Sommer 2020 hinweg, “vielleicht bis hin zum Herbst 2020”. Der Corona-Expertenrat unter Olaf Scholz sei erst im Herbst 2021 eingesetzt worden. In der Zwischenzeit sei er nur sehr wenig in Politikberatung involviert gewesen.
Der Vorsitzende des Ausschusses, Andreas Nowak, wies an dieser Stelle darauf hin, dass Drosten hierauf nicht antworten müsse, da es sich um eine „Zeugen-Frage“ handelte. Drosten meinte, das wisse er, aber er würde gerne darauf antworten, da in den Medien ein Bild über ihn entstanden sei, das nicht der Realität entspreche.
Die Aussage Drostens, er sei nur “vielleicht bis hin zum Herbst 2020” in Politikberatung involviert gewesen, ist nicht korrekt: Wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der AfD in der Drucksache 19/32484 vom 16. September 2021 hervorgeht, beriet Christian Drosten noch am 04. und am 18. Januar 2021 die Ministerpräsidentenkonferenz.
Das ist mitten im Winter 2021 - und nicht “vielleicht bis hin zum Herbst 2020”. Möglicherweise wollte Drosten mit der Betonung auf Herbst 2020 insinuieren, er hätte mit dem zweiten Lockdown wenig zu tun gehabt - doch gleich zwei seiner drei Auftritte vor der Ministerpräsidentenkonferenz fielen genau in die Zeit des zweiten Lockdowns.
Die ersten Coronavirus-Fälle in Deutschland
Nach den Anfängen von Corona in Deutschland gefragt, antwortete Drosten, er habe anfangs erwartet, das Virus würde auf China beschränkt bleiben und sich nicht global verbreiten. Dieser Eindruck habe sich für ihn mit der sogenannten „Webasto-Kohorte“ geändert. Webasto ist ein Hersteller von Bremsen und Kupplungen in der Nähe von München. Dort sei eine chinesische Geschäftspartnerin zu einer Fortbildungsveranstaltung angereist und habe Kollegen infiziert, die nach positiver Diagnose ins Krankenhaus Schwabing eingeliefert worden seien.
Das Erstaunliche sei gewesen, dass diese ersten Corona-Patienten einen milden Verlauf gehabt hätten - ganz anders als bei SARS-1. Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt habe man sehen können, dass die Erkrankung sich in den ersten ein bis zwei Wochen scheinbar wie eine normale Erkältung verhalte - später hätten jedoch ein bis zwei Patienten Atemnot entwickelt. Damals habe man auch schon gesehen, dass sich das Virus im Rachengewebe repliziert. Das habe bedeutet, das Virus müsse nur von Rachen zu Rachen - nicht von Lunge zu Lunge. Diese zwei Faktoren zusammengenommen, asymptomatische Übertragung und Rachen-zu-Rachen-Übertragung, hätten damals schon erahnen lassen, dass es schwer werden würde, so ein Virus einzudämmen.
Die Infektionssterblichkeit (IFR)
Laut Drosten habe bereits Anfang Februar eine britische Arbeitsgruppe Daten aus China ausgewertet und eine Infektionssterblichkeit von 0,7 Prozent ermittelt – die Dunkelziffer milder Erkrankungen sei dabei bereits mit einberechnet gewesen. Für eine übertragbare Infektionskrankheit sei das viel - viel mehr als bei Influenza. Bei Corona hätte es zehn bis 20 Mal so viele Todesfälle gegeben wie bei der Influenza.
Diese Aussage lässt sich nicht belegen. Tatsächlich starben im ersten Jahr der “Jahrhundertpandemie“ 2020 sogar weniger Menschen als im Grippejahr 2018. Es gab 2020 keine Übersterblichkeit - zu diesem Ergebnis kam bereits 2021 eine Studie der Universität Duisburg-Essen, die das Jahr 2020 mit den Jahren 2016 bis 2019 verglich. Eine erhöhte Sterblichkeit war erst ab den Jahren 2021/ 2022 zu verzeichnen, wie eine Studie von Kuhbandner et al ermittelte. Doch auch hier lag die Übersterblichkeit nicht zehn bis 20 Mal höher als in regulären Grippejahren.
Bereits 2021 hatte der renommierte Datenanalytiker John Ioannidis die globale Infektionssterblichkeit auf 0,24 Prozent geschätzt, basierend auf der Auswertung von 50 internationalen Seroprävalenzstudien.
Der R-Wert
Der sogenannte R-Wert, die Reproduktionszahl des Virus, habe laut Drosten über weite Teile der Maßnahmenzeit um den Faktor Eins herum gelegen. Selten sei es gelungen, ihn auf 0,7 zu drücken. Wäre dies längere Zeit gelungen, wären auch die Inzidenzen stark nach unten gegangen. Als man in der Winterzeit zugelassen hätte, dass der R-Wert auf 1,5 oder 2 steige, habe man postwendend nach einer Woche die Quittung in Form von Krankenhausüberlastungen erhalten, denn ein solcher Anstieg erfolge exponentiell.
Was Drosten an dieser Stelle unerwähnt lässt, ist die Tatsache, dass der R-Wert bereits im März 2020 unter Eins lag, kurz bevor in Deutschland die härtesten Grundrechtseinschränkungen in der Geschichte des Landes verhängt wurden.
Impfquoten und Inzidenzen
Dass eine Korrelation zwischen Impfquote und Inzidenz besteht, ist für Drosten wissenschaftlich unzweifelhaft - das würden Daten aus der gesamten Welt belegen. In England hätten sich die Alten sehr bereitwillig impfen lassen, daher konnte Boris Johnson bereits im Sommer 2021 wieder die Fußballstadien zur Europameisterschaft öffnen. In Deutschland sei dies anders gelaufen: Die Impfquote sei schlechter gewesen und die Intensivstationen seien erneut an ihre Grenzen gelangt. Vor diesem Hintergrund hätten sich politisch Verantwortliche und Experten natürlich überlegt: Was machen wir, um die Impfquote zu steigern? Angesichts erhöhter Zahlen von Ungeimpften in den Intensivstationen sei es zu Aussprüchen wie der „Pandemie der Ungeimpften“ durch den damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn gekommen – laut Drosten, „um Aufmerksamkeit für das Thema zu erregen“.
Eine Korrelation zwischen Impfquote und Inzidenz wird unter anderem durch eine Studie im European Journal for Epidemiology widerlegt - darin heißt es:
”Auf Länderebene scheint es keinen erkennbaren Zusammenhang zwischen dem Prozentsatz der vollständig geimpften Bevölkerung und neuen COVID-19-Fällen in den letzten 7 Tagen (.) Vielmehr deutet die Trendlinie auf einen geringfügig positiven Zusammenhang hin, dass Länder mit einem höheren Prozentsatz der vollständig geimpften Bevölkerung höhere COVID-19-Fälle pro Million Einwohner haben.”
”Das Fehlen eines aussagekräftigen Zusammenhangs zwischen dem Anteil der vollständig geimpften Bevölkerung und neuen Covid-19-Fällen wird beispielsweise deutlich durch den Vergleich von Island und Portugal. In beiden Ländern sind über 75 Prozent ihrer Bevölkerung vollständig geimpft und haben mehr Covid-19-Fälle pro Million Einwohner, als Länder wie Vietnam und Südafrika, in denen etwa 10 Prozent der Bevölkerung Bevölkerung vollständig geimpft sind.” (European Journal for Epidemiology, Subramanian/ Kumar 2021, übersetzt mit DeepL)
Die Strategie des „fokussierten Schutzes“ ist laut Drosten gescheitert
Drosten zufolge ist die Kontrollstrategie eines „fokussierten Schutzes“ von Älteren und Vulnerablen gescheitert. Es handelt sich hierbei um die Strategie, die von den Autoren der „Great Barrington Declaration“ rund um den Stanford-Professor und neuen NIH-Direktor Jay Bhattacharya vertreten wurde: Ein fokussierter Schutz von Älteren und Vulnerablen, während das gesellschaftliche Leben nur minimal eingeschränkt wird, und die Gesellschaft langsam eine Grundimmunität gegen das Virus aufbauen kann, von dem die Älteren und Vulnerablen profitieren.
Vor dem Ausschuss argumentierte Drosten, dass es vollkommen unmöglich sei, die Alten zu schützen, wenn man das Virus unkontrolliert durch die jüngere Bevölkerung laufen lasse, denn häufig handele es sich um allein zu Hause lebende, ältere Menschen mit Grunderkrankungen. Nur ein minimaler Anteil dieser Bevölkerungsgruppe lebe in Pflegeheimen. Wenn man das Virus unkontrolliert in der jüngeren Bevölkerung laufen lasse, mache man damit den Alltag für diese Patienten zur permanenten Infektionsgefahr. Schweden habe es mit der Strategie des fokussierten Schutzes versucht, aber ein Erfolg lasse sich in den Daten nicht abbilden.
Brisant ist, dass Drosten sich ganz am Anfang der Pandemie noch selbst für “fokussierten Schutz” aussprach: In seiner Podcast-Folge 9 vom 09. März 2020 empfahl er einen gezielten Schutz der Älteren jenseits des Rentenalters, und eine Durchseuchung der jüngeren Bevölkerung - eine Strategie, die er wenig später als unethisch und nicht realisierbar darstellte. Wissenschaftler wie Jay Bhattacharya, die sich für fokussierten Schutz einsetzten, verunglimpfte er als “Pseudoexperten”. Doch seine eigenen Worte Anfang März 2020 hätten von einem Autor der ‘Great Barrington Declaration’ stammen können:
„Während wir in den Gruppen unterhalb von 60 (und dann noch viel deutlicher unterhalb von 50 Jahren) eine Erkältungskrankheit haben (.) haben wir in diesen jüngeren Bevölkerungsgruppen eine Erkrankung, die nicht sehr stark zu Buche schlägt, in Form von Todesfällen. Jenseits des Rentenalters muss man die Bevölkerung wirklich schützen. Wie können wir das machen? Das Umschalten von einem Modus, also die Kinder, die sich infizieren und das Virus von sich geben, jetzt mal bis zum September oder Oktober nicht mehr bei Oma und Opa zur Betreuung abgeben, sondern stattdessen für Oma und Opa einkaufen, dass die nicht ständig in den Supermarkt müssen.”
”Wir werden jetzt in der jüngeren Bevölkerung wohl vor dem Sommer und über den Sommer schon durch-infiziert und sind danach weitflächig immun. Das ist das Gute. Dann wird es auch etwas zur Beruhigung kommen nach dieser Sommerwelle. Wir wollen diese Sommerwelle von der älteren Bevölkerung weghalten. (.) Man kann nicht über Kita- und Schulschließung alles unterbinden, was in dieser Altersgruppe passiert. (.) Wir wissen, wir können dieses Virus gar nicht mehr aufhalten, wir können es nur verzögern.“
Drosten lobte Deutschlands Corona-Maßnahmen am Anfang der Pandemie: Man habe durch „frühe Diagnostik“ eine „Sonderleistung“ erreicht: Eine im internationalen Vergleich auffallend geringe Sterblichkeit in der ersten Welle, da man mithilfe des “hier entwickelten PCR-Tests” bereits Anfang März auf Landkreis-Ebene auflösen konnte, wieviele Covid-Fälle es dort gegeben habe. Das habe kein anderes Land in Europa so früh gekonnt – andere Länder hätten zwei bis drei Monate länger dafür gebraucht.
Mit den Hinweisen auf die frühe Diagnostik und den “hier entwickelten PCR-Test” meint Drosten sein eigenes PCR-Testprotokoll, das bereits im Januar 2020 veröffentlicht und auf der Webseite der WHO empfohlen wurde. Es hatte in der bemerkenswert kurzen Zeitspanne von nur zwei Tagen den Peer Review-Prozess durchlaufen, der sonst eigentlich Wochen und Monate andauert, wie Journal-Editoren kritisch anmerkten.
Besonders pikant war dabei die Tatsache, dass zwei Autoren des Papiers, Christian Drosten und Chantal Reusken, gleichzeitig auch dem „Editorial Board“, dem Herausgeber-Gremium des Wissenschaftsjournals „Eurosurveillance“ vorsaßen, bei dem es erschien - ein Interessenkonflikt, der nicht transparent gemacht wurde. Gegen das Papier wurde ein Rückzugs-Antrag eingereicht, auf den bis heute nicht reagiert wurde. Drostens PCR-Test wurde in Fachkreisen als diagnostisch ungeeignete Methode kritisiert, da er nur positive Rachenabstriche, aber keine Infektionen nachweisen kann – eine Tatsache, die Christian Drosten 2014 am Beispiel Mers noch bewusst war. Damals sagte er:
„...die Methode ist so empfindlich, dass sie ein einzelnes Erbmolekül dieses Virus nachweisen kann. Wenn ein solcher Erreger zum Beispiel bei einer Krankenschwester mal eben einen Tag lang über die Nasenschleimhaut huscht, ohne dass sie erkrankt oder sonst irgend etwas davon bemerkt, dann ist sie plötzlich ein Mers-Fall. Wo zuvor Todkranke gemeldet wurden, sind nun plötzlich milde Fälle und Menschen, die eigentlich kerngesund sind, in der Meldestatistik enthalten. Auch so ließe sich die Explosion der Fallzahlen in Saudi-Arabien erklären.“
Die Maßnahmenstärke in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern
Die Annahme, dass die Maßnahmen in Deutschland härter gewesen seien als in anderen Ländern, ist laut Drosten ein Fehlschluss. In der Anfangsphase der Pandemie sei in Deutschland Toilettenpapier gehortet worden, aber immerhin habe man hierzulande noch Toilettenpapier horten können. Es habe auch Länder gegeben, in denen sogar der Zugang zum Supermarkt reglementiert worden sei.
Der frühe Start der Maßnahmen in Deutschland habe laut Drosten zehntausende Leben gerettet. Er nannte eine konkrete Zahl: 60 Tausend Leben. Aufbauend auf Vergleichszahlen aus England rechnete er vor: Hätte Deutschland die gleiche Letalität wie England gehabt, wären in der ersten Welle 70 Tausend Menschen gestorben – das wären 60 Tausend mehr Menschen als die etwa neun Tausend Toten der ersten Welle. Hätte man im Herbst 2020 die Maßnahmen aus dem Frühjahr 2020 noch einmal in der gleichen Stringenz bis etwa Januar 2021 angewendet, als die Impfung da war, hätte man den „deutschen Erfolg“ bis zum Ende der Pandemie weitertragen können. Leider sei das versäumt worden. Die Politik sei in der Rückschau häufig verunsichert, da Medien oft Gegenpositionen hochspielen würden. Wenn man sich jedoch aus diesem medialen Gewitter herausziehe und ein paar Dinge noch einmal durchrechne, sei es relativ einfach.
Die Aussage Drostens, man hätte die Maßnahmen noch einmal in aller Stringenz bis Januar 2021 weiterführen sollen, wirft Fragen auf - schließlich hatte die Politik sich damals genau an seine Empfehlungen gehalten, und einen sogenannten “Wellenbrecher”-Lockdown verordnet. Dieser eigentlich befristet angesetzte Lockdown wurde anschließend - vermutlich wegen dem ausbleibenden Erfolg - in einen unbefristeten harten Lockdown umgewandelt - ebenjenen harten Lockdown, den Drosten im Rahmen der 07. Ad-hoc-Stellungnahme der Leopoldina vom 08. Dezember 2020 empfohlen hatte.
Deutschland im Vergleich zu Schweden
Ein Abgeordneter der Linken fragte Drosten, warum er Deutschland viel mit England vergleiche, aber wenig mit Schweden. Drosten entgegnete, Deutschland und Schweden seien zwar durchaus vergleichbar, weil beides gebildete, ökonomisch starke Länder seien, mit einer Bevölkerung, die noch einigermaßen zusammenhalte. Es gebe aber einen gängigen Schweden-Vergleich, der besage, in Schweden hätte es kaum Maßnahmen gegeben, und am Ende sei das Ergebnis „genauso gut wie in Deutschland“ gewesen. Wenn man aber Menschen in Schweden befragen würde, würden diese widersprechen: Es hätte in Schweden sehr wohl Maßnahmen gegeben, nur seien diese am Anfang der Pandemie „etwas laxer“ gewesen.
Schweden habe eine etwa fünfmal höhere Opferzahl wie Deutschland in der ersten Welle zu verzeichnen, und eine zehnmal höhere Opferzahl im Vergleich mit skandinavischen Nachbarländern. Das sei die „Quittung für die laxen Maßnahmen“ gewesen. Natürlich könne man sagen, man wolle Freiheit - die Rechte von Armen, Alten, Migranten, schlechter gebildeten Personen, die an Informationen nicht herankommen, seien egal. Das gehöre aber ins Parlament - dazu müsse man nicht ihn als Wissenschaftler fragen. Aber als Wissenschaftler könne er sagen, dass die hohe Sterblichkeit der ersten Welle in Schweden der geringen Maßnahmenstärke geschuldet gewesen sei.
Der schwedische König habe schon im Herbst 2020 die schwedische Strategie für gescheitert erklärt, woraufhin „jede Menge Maßnahmen eingeführt“ worden seien. Die Maßnahmenstärke im Herbst und Winter 2020 sei unter objektiven Kriterien „die gleiche wie in Deutschland“ gewesen - vor Weihnachten 2020 seien diese sogar stärker als in Deutschland ausgefallen. In Deutschland habe es damals nur einen Teil-Lockdown gegeben – da hätten die Schweden „sehr viel verstanden“ und „stärkere Maßnahmen gehabt als wir“. Wenn man die Übersterblichkeit über vier Jahre aufsummiere, kämen Schweden und Deutschland am Ende ungefähr gleich heraus. Aber darum ginge es bei der Bewertung der Maßnahmen auch nicht.
Diese Aussagen Drostens sind fragwürdig, angefangen mit der Aussage, auf die Übersterblichkeit der letzten Jahre komme es für die Bewertung der Maßnahmen nicht an. Das Gegenteil ist der Fall - denn die Übersterblichkeit umfasst den gesamten Einfluss aller Faktoren auf die Gesellschaft, inklusive sekundärer Schäden durch staatliche Maßnahmen: Etwa, wenn lebensnotwendige Operationen verschoben werden, um Krankenhäuser für Covid-19-Fälle freizuhalten, oder Menschen an Einsamkeit, Depressionen, oder sonstigen Schäden versterben. Daher ist die Übersterblichkeit der letzten Jahre eine der wichtigsten Metriken zur Einschätzung der Auswirkungen von politisch verhängten Maßnahmen auf die Gesellschaft.
Die Behauptung Drostens, Schweden sei am Ende „etwa gleich“ herausgekommen wie Deutschland, was die Übersterblichkeit über die letzten vier Jahre anbelange, entbehrt jeder Grundlage. Das belegt unter anderem ein Lancet-Artikel aus dem Oktober 2024, wonach Schweden in den Jahren 2020-2023 mit 2,2 Prozent die niedrigste Übersterblichkeit in ganz Europa hatte. Im gleichen Zeitraum lag die Übersterblichkeit in Deutschland bei 5,6 Prozent.

Laut einer Statista-Erhebung vom November 2023 hatte Schweden im Jahr 2022 sogar eine leichte Untersterblichkeit von 2,3 Prozent, und lag damit am unteren Ende der OECD-Länder. In Deutschland lag die Übersterblichkeit im gleichen Jahr bei 9,6 Prozent, und damit zu den Ländern mit der höchsten Übersterblichkeit.
Auch für Drostens Aussage, die Maßnahmen in Schweden seien vor Weihnachten 2020 sogar stärker gewesen als in Deutschland, gibt es anderslautende Belege. Gemäß des „Government Stringency Index“ der Oxford Universität, der im Rahmen eines „COVID-19 Government Response Trackers“ entwickelt wurde, hatte Deutschland im Dezember 2020 mit einem Index-Wert von 83,33 deutlich härtere Maßnahmen als Schweden: Ein harter Lockdown ab dem 16. Dezember 2020, Schließungen von Geschäften und Schulen, sowie strenge Kontaktbeschränkungen.
Schweden kam im gleichen Zeitraum auf einen Index-Wert von lediglich 47,22: Die Schulen waren in Schweden nie flächendeckend geschlossen, lediglich Oberschulen und Universitäten in der ersten Jahreshälfte von 2020. Schon nach den Sommerferien wurde die Maßnahme wieder eingestellt, weil die schwedische Gesundheitsbehörde festgestellt hatte, dass Schulschließungen sich negativ auf Kinder auswirkten und ihr Nutzen für die Pandemiebekämpfung begrenzt sei. Zwar galt in Schweden eine Begrenzung von Veranstaltungsgrößen auf acht Personen und ein abendliches Alkoholausschankverbot, aber es gab keine flächendeckenden Schul- oder Geschäftsschließungen, sondern nur freiwillige Empfehlungen. Drostens Behauptung, Schweden habe vor Weihnachten 2020 stärkere Maßnahmen als Deutschland gehabt, ist ohne faktische Grundlage.
Drosten räumt seine falsche Afrika-Prognose ein

Der Grünen-Abgeordnete Lippmann wollte von Drosten wissen, ob es in der Rückschau auch Punkte gegeben hätte, die damals wissenschaftlich richtig erschienen seien, aber sich im Nachgang als falsch erwiesen hätten. Drosten nannte, ohne lange zu überlegen, seine Prognose zu hohen Todeszahlen im globalen Süden. Im Nachhinein ärgere ihn am meisten, dass er die Auswirkungen der steilen Alterskurve auf das Sterbegeschehen im globalen Süden so falsch eingeschätzt habe, wo die Erkrankungen entgegen seiner Vorhersage „sehr mild“ gewesen seien.
Er habe diesbezüglich zwar nie Politikberatung gemacht, aber manchmal in der Öffentlichkeit gesagt, dass es in Afrika ganz bitter werden könne - eine Fehleinschätzung seinerseits, die einer „gewissen Empathie“ geschuldet gewesen sei: Man habe gesehen, was in Europa Schlimmes passiert sei, und als er gehört habe, dass die ersten Fälle in Kenia eingetroffen seien, habe er sich Sorgen gemacht. Er habe dies am Anfang der Pandemie falsch gewichtet, und es sei im Rückblick auch gut gewesen, dass er falsch gelegen habe. Das Zitat, auf das Drosten sich hier bezog, fiel in seinem Interview mit dem Stern am 21. März 2020:
„Auch in den afrikanischen Ländern wird in diesem Sommer der Peak der Infektionen auftreten. Ich mag mir gar nicht ausmalen, welche Bilder man sehen wird. Wir werden noch erleben, dass die Leute daran auf den Straßen sterben in Afrika. Die Situation wird schlimm sein, sehr schlimm.“
Tatsächlich hatte Afrika im Vergleich mit anderen Kontinenten eine der niedrigsten Impfraten und eine der niedrigsten Übersterblichkeitsraten während der Corona-Jahre.
„Größte Fehlentscheidung, an der ich beteiligt war“
Am meisten bereut Drosten aus heutiger Sicht eine Ad-hoc-Stellungnahme der Leopoldina vom 27. November 2021, an der er beteiligt war. Sie trug den Titel: „Klare und konsequente Maßnahmen – sofort!“ und ist bis heute online abrufbar. Die Stellungnahme hatte massiven Einfluss auf die Haltung von Politikern und Medienschaffenden bezüglich der Impfpflicht. Die Leopoldina-Wissenschaftler legten der Bundesregierung eine Impfpflicht nahe, sollten andere Maßnahmen scheitern. So heißt es in dem Papier unter der Überschrift “Wertfragen”:
"Auch die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht ist unter den aktuellen, vor einem Jahr so nicht vorhersehbaren Umständen ethisch und rechtlich gerechtfertigt: als letzte Maßnahme, um eine Impflücke zu schließen, die sich augenscheinlich anders nicht beheben lässt. Nur so können die Bürgerinnen und Bürger unserer Gesellschaft vor weiteren desaströsen Folgen bewahrt werden."
Unter „Empfohlene Maßnahmen“ wurde „die rasche Einführung einer berufsbezogenen Impfpflicht für Ärztinnen und Ärzte, Pflegekräfte und medizinische Fachberufe sowie weiterer Multiplikatorengruppen“ empfohlen, sowie „die Vorbereitung zur Einführung einer allgemeinen Impfpflicht unter Berücksichtigung der dafür erforderlichen rechtlichen und sozialen Rahmenbedingungen“.
Drosten bezeichnete vor dem Ausschuss die Stellungnahme als „Gruppenentscheidung“, die er mit unterschrieben, die sich jedoch durch die Omikron-Variante von selbst erledigt habe. Für die deutsche regulative Ebene sei es die “größte Fehleinschätzung“ gewesen, an der er beteiligt gewesen sei. Auch die Gesellschaft für Virologie (GfV), auf deren aktuelle Stellungnahme Drosten im Eingangsstatement verwies, und deren Beiratsmitglied er heute ist, hatte die 10. Ad-hoc-Stellungnahme der Leopoldina explizit unterstützt.
Die Befürwortung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht im Leopoldina-Papier sei der Überlegung entsprungen, dass man als Mediziner vorangehen müsse, sonst würde die Politik das nie in der gesamten Bevölkerung “verargumentieren” können. Die Empfehlung der allgemeinen Impfpflicht sei im Wissen darum erfolgt, dass erhebliche juristische Hürden bestehen. Daher habe man vonseiten der Leopoldina-Fachleute aus anmahnen wollen, zumindest die rechtlichen Voraussetzungen schon einmal zu prüfen, da in Anbetracht der Delta-Variante wieder von überlasteten Intensivstationen ausgegangen werden musste. Berechtigterweise habe eine gewisse Vorsicht bestanden, und durchaus gute wissenschaftliche Argumente für eine Impfpflicht ab 65 Jahren - aber auch die hätte man irgendwann wieder abschaffen müssen. Aus der Entfernung betrachtet sei es gut, dass die Impfpflicht nicht gekommen sei.
Noch im letzten Jahr behauptete Christian Drosten in einem Interview mit T-Online, er hätte nie eine Impfpflicht gefordert. Die Überschrift des Interviews musste später abgeändert werden, nachdem Drostens Behauptung medial widerlegt wurde.

Drosten präsentierte vor dem Corona-Untersuchungsausschuss Sachsen nun ein leicht angepasstes Narrativ: Er betonte, er habe „in den Medien“ nie eine Impfpflicht gefordert, obwohl er in jedem Interview frontal dazu angefragt worden sei. Er habe aber immer vermieden, dafür zu plädieren.
Auch das ist nur teilweise richtig. So stimmt es zwar, dass Drosten sich in Interviews nicht ausdrücklich für eine Impfpflicht aussprach, doch er empfahl das sogenannte „1G-Modell“, falls andere Maßnahmen wie Kontaktbeschränkungen scheitern sollten. Unter einem „1G-Modell“ verstand Drosten damals einen Zutritt nur noch für Geboosterte. Die bereits geltende 2G-Regel, die Ungeimpfte kategorisch vom gesellschaftlichen Leben ausschloss und damit einer “indirekten Impfpflicht” gleichkam, hielt er für nicht ausreichend.
Sogar der Ethikrat bezeichnete die 2G-Regel in seiner Ad-Hoc-Stellungnahme zur Frage einer allgemeinen Impfpflicht am 22. Dezember 2021 als "staatlich induzierte Impfpflicht":
"Zu berücksichtigen ist dabei weiterhin, dass mit den zunehmend eingesetzten ‘2G’-Regelungen bereits eine staatlich induzierte, aber nur mittelbar sanktionierte Impfpflicht existiert."
Eine Diversität in der wissenschaftlichen Politikberatung bezeichnet Drosten als „Kakophonie“
Als ein Abgeordneter Drosten fragte, ob er bei zukünftigen Pandemien mehr Diversität und Breite in wissenschaftlichen Politikberatung empfehlen würde, lehnte Drosten dies klar ab: Im Sommer 2020 sei es in Deutschland zu einer „Kakophonie von Stimmen aus der Wissenschaft“ gekommen.
Er würde eher empfehlen, bestehende Wissenschaftsinstitutionen wie die Leopoldina, die Landesakademien der Wissenschaft, die Deutsche Forschungsgemeinschaft oder die Helmholtz-Gemeinschaft darum zu bitten, fachkompetente Experten aus den eigenen Reihen zu benennen. Das seien nicht zwangsläufig diejenigen, die man auch im Fernsehen sehe. Leider gebe es auch unter Wissenschaftlern Personen, die zu Selbstdarstellungszwecken, aus monetären Interessen oder Karrieregründen das Licht der Öffentlichkeit aufsuchen würden. Dies führe jedoch zu einer Kakophonie, einer Vielstimmigkeit, die vielleicht in der Politik wünschenswert sei, aber nicht, wenn in einer brenzligen Situation wissenschaftsbasierte Entscheidungen getroffen werden müssen.
Äußerungen wie diese, die ein eher autoritäres Wissenschaftsverständnis offenbaren, verlautbarte Drosten seit Beginn der Corona-Jahre: Etwa, als er im April 2020 in einem Spot des Bundesgesundheitsministeriums warnte, man solle nur auf ausgewählte Experten hören – nicht jeder, der einen Professorentitel trage, sei auch dazu berechtigt, in dieser Debatte Gehör zu finden. Schon 2022 attestierte René Schlott ihm in einem Gastbeitrag in der FAZ ein “autokratisches Verständnis von Wissenschaft”.
Drostens Aussagen auf dem Weltgesundheitsgipfel 2023 in Berlin reihen sich hier ein: Während einer Pandemie sollten nur „echte Experten“ von der Politik angehört werden - sobald die politische Entscheidungsfindung durch Desinformation und Propaganda gestört sei, sei man verloren. Wissenschaftliche Institutionen hätten die gesellschaftliche Aufgabe, eine Vorauswahl an Experten zu treffen, die sich öffentlich äußern sollen.
Drostens Aussage, man möge in einer Pandemie nur auf ausgewählte Institutionen wie die Leopoldina hören, ergibt keinen Sinn mehr nach seiner Aussage, eine Leopoldina-Stellungnahme sei die “größte Fehleinschätzung” gewesen, an der er beteiligt gewesen sei. Warum sollte die Öffentlichkeit in einer pandemischen Notlage ausschließlich auf Institutionen wie die Leopoldina hören, die während der Corona-Jahre “Fehleinschätzungen” abgeliefert haben, wie Drosten nun selbst eingeräumt hat?
Die Effektivität der Maßnahmen
Ein Abgeordneter der Linken fragte Drosten, welche Maßnahmen sich rückblickend als besonders effektiv erwiesen hätten. Drosten verwies hierzu auf eine „große Befassung der Royal Society”, die nach Auswertung der internationalen Literatur zu einigen sehr klaren Schlüssen gekommen sei. Hierbei habe sich ein klarer „Dosis-Effekt“ gezeigt: Es gelte das Prinzip, viel helfe viel. Besonders harte Maßnahmen seien besonders effektiv gewesen. Die Beschränkung von Versammlungsgrößen habe zu den effektivsten Maßnahmen gehört, aber auch Maßnahmen an Schulen. Dazu hätten Schulschließungen gehört, aber auch Maßnahmen an Schulen im Regelbetrieb, wie das Tragen von Masken, regelmäßige Testungen und die Reduzierung von Gruppengrößen. All dies habe gut funktioniert, was eine „sehr gute Botschaft“ sei.
Laut einigen Studien hätten die Maßnahmen an Schulen die Reproduktionszahl um 20-30 Prozent senken können. Drosten räumte ein, andere Studien hätten zwar keinen Effekt von Maßnahmen an Schulen nachweisen konnten, aber da sei die Einschränkung oft gewesen, dass die Studie möglicherweise zu einem falschen Zeitpunkt durchgeführt worden sei. Auch Maßnahmen im Arbeitsbereich wie „Home Office“ und die damit verbundene Reduktion der arbeitsplatzbezogenen Mobilität hätten sich als wirksam erwiesen. Ebenfalls gut gewirkt hätten Maßnahmen im Gastrogewerbe, etwa das Alkoholausschankverbot. Dies sei auch intuitiv zu verstehen: Wer etwas trinke, spreche lauter, singe Lieder, halte sich eher in Innenräumen auf, weil es zu kalt sei, um noch draußen zu sitzen, und gehe dann später nach Hause.
Der Effekt anderer Maßnahmen hingegen ließe sich schwerer beziffern, etwa das „Test and Trace“-Verfahren, die Massentestung und Kontaktnachverfolgung. In anderen Ländern hätte dies gut funktioniert, aber für Deutschland lasse sich bei dieser Maßnahme kein klarer Effekt nachweisen. Dies sei unter anderem einer Überlastung der deutschen Gesundheitsämter geschuldet gewesen: Es nütze wenig, wenn sich ein Gesundheitsamt nach drei Wochen melde und mitteile, man möge sich in Quarantäne begeben, während man längst wieder genesen sei.
Auch Maßnahmen im Handel hätten sich als wenig wirksam erwiesen: Dies sei gut darstellbar am Beispiel Baumarkt. Es hätte Zeiten gegeben, wo es auch in großen Baumärkten Beschränkungen gab, obwohl man beim Besuch möglicherweise nur vier, fünf Leuten begegnet. Die Politik habe jedoch versucht, alle gleich zu behandeln. Für die Zukunft müsse man sich allerdings überlegen, ob man das wieder so machen wolle.
Drostens Äußerungen zur Effektivität der Maßnahmen stützen sich auf eine Studie der Royal Society, die von zahlreichen Fachleuten stark kritisiert wurde. Der Public-Health-Experte Kevin Bardosh kritisierte sie als „zutiefst fehlerhaft“ und begründete dies damit, die Analyse habe sich nur mit der Verringerung der Übertragung, aber nicht mit der Reduktion von Krankheiten und Todesfällen befasst. Bei der isolierten Bewertung einzelner Maßnahmen sei keine Wirkung zu beobachten. Die Studie habe Fallstudien aus Ländern wie Schweden, Indien, Haiti oder Nicaragua nicht berücksichtigt und stütze sich stark auf Beobachtungsstudien. Die Evidenz-Bewertung von Masken habe der systematisch durchgeführten Cochrane-Metastudie widersprochen. Außerdem habe man verschiedene Zeiträume vermischt, mit unterschiedlichen Effektstärken jongliert und nicht zwischen freiwilligen und verpflichtenden Verhaltensänderungen unterschieden.
Es lässt sich festhalten, dass Drosten von ihm empfohlene Maßnahmen wie Schulschließungen, Masken und Tests an Schulen vor dem Untersuchungsausschuss mit einer Studie untermauerte, die in Fachkreisen als fehlerbehaftet gilt.
Ergänzend zu erwähnen ist an dieser Stelle, dass eine Gruppe von Wissenschaftlern rund um den renommierten Datenanalytiker John Ioannidis kürzlich die “Stoppt Covid”-Studie des RKI, und damit die deutsche Maßnahmenstrategie, ausgewertet hat. Das Ergebnis der noch nicht peer-reviewten Studie bestätigt die Erkenntnis des Sachverständigenausschusses: “Für keine der Maßnahmen ergeben sich belastbare Effekte”.
Drosten übte erneut scharfe Kritik am Sachverständigenrat der Bundesregierung
Der Sachverständigenrat der Bundesregierung war ein interdisziplinär zusammengesetztes Gremium der Bundesregierung, das den Auftrag hatte, die Corona-Maßnahmen zu evaluieren. Der „Evaluationsbericht“, der am 30. Juni 2022 erschienen war, enthielt einen bemerkenswerten Satz, unauffällig versteckt auf Seite 70, der häufig von Corona-Maßnahmenkritikern zitiert wurde: „Insgesamt ist ein Zusammenhang zwischen der Höhe der Inzidenz und der Maßnahmenstärke nicht erkennbar.“ Es war jener Satz, an dem Drosten sich am meisten störte.
Wie er vor dem Ausschuss ausführte, sei er „die längste Zeit“ Mitglied in dem Gremium gewesen, hätte es aber im April 2022 „unter Protest“ verlassen. Er begründete den Schritt mit der „Art, wie da gearbeitet wurde“. Er attestierte dem Evaluationsbericht zwar eine hohe Wertigkeit, doch das Papier habe ein entscheidendes Problem: Man habe Grafiken zum Zusammenhang zwischen Maßnahmenstärke und Inzidenz „per Auge“ ausgewertet und dabei keinen Zusammenhang erkennen können. Daraus sei dieser eine verhängnisvolle Satz zustande gekommen. Drosten mutmaßte, dass den Autoren die wissenschaftliche Untragbarkeit dieses Satzes bewusst gewesen sein musste, da sie sich noch nicht einmal getraut hätten, diesen in die Zusammenfassung zu schreiben.
„Einige wenige Medienquellen“ hätten diesen Satz herausgegriffen und medial aufgeblasen. Der dadurch entstandene Eindruck über das Papier, dass kein Zusammenhang zwischen Maßnahmen und Inzidenz bestehe und eine Expertengruppe dies auch noch wissenschaftlich bestätigt habe, sei laut Drosten vollkommen falsch, weil man etwa den Temperatureffekt beim saisonalen Wandel nicht mit einberechnet habe. Wenn im Frühjahr die Maßnahmen beendet wurden und zeitgleich die Zahlen heruntergingen, sei das dem saisonalen Temperatureffekt geschuldet und bedeute nicht, dass die Maßnahmen vorher sinnlos gewesen seien.
Plötzlich erkennt Drosten den maßgeblichen Einfluss der Saisonalität an
Drostens Hinweis auf den vernachlässigten Temperatureffekt ist bemerkenswert, da er den saisonalen Temperatur-Effekt lange Zeit als nicht ausschlaggebend heruntergespielt hatte. So warnte er am 02. März 2021 in der Podcast-Folge 78 mit dem Titel „Die Uhr tickt“ vor allzu frühen Lockerungen, weil der „saisonale Effekt“ „maximal 20 Prozent“ dazu beitragen würde, die Inzidenzen zu senken:
„Wir haben einige Stimmen in der Öffentlichkeit, die schon wieder sagen: Das Ganze wird sich im März erledigt haben, weil es einen saisonalen Effekt gibt. Ich gebe darauf nur sehr wenig, auf solche Einschätzungen. Die sind für mich nicht wissenschaftlich haltbar. Es gibt viel mehr wissenschaftlich haltbare Einschätzungen, die sagen, dass maximal 20 Prozent Reduktion durch einen saisonalen Effekt zu erwarten ist.”
”Wir haben keinen Grund, auch anhand von realen Gegenbeobachtungen in wärmeren Ländern und so weiter, zu der Annahme, dass wir hier mit einem saisonalen Effekt rechnen können, der so ist wie bei den normalen Erkältungs-Coronaviren. Sondern wir müssen davon ausgehen, dass das Maximum, was wir erwarten können, dort liegt. Und dass wir wahrscheinlich sehr viel weniger Hilfe durch den saisonalen Effekt bekommen. Das ist eine Überlegung, die darauf gründet, dass wir bei dem saisonalen Effekt keine Hilfe durch die Bevölkerungsimmunität haben. Das ist ein ganz wichtiger Bereich. Denn das war mir wichtig, das noch mal hier gesagt zu haben, weil manchmal dieser saisonale Effekt in der Öffentlichkeit als Totschlagargument verwendet wird. Also da geben sich Wissenschaftler Mühe, alles möglichst genau zu projizieren und zu berechnen. Und dann kommt irgendwer daher und sagt: Das Thema wird sich erledigt haben, denn die Sonne beginnt zu scheinen.“
Vor dem Corona-Untersuchungsausschuss in Sachsen hörte sich das nun ganz anders an: Drosten ging sogar auf die Faktoren ein, die zu einem Sinken der Inzidenz in der wärmeren Jahreszeit führen würden: Menschen würden sich länger im Freien aufhalten, die UV-Strahlung brenne das Virus aus, die Schleimhäute würden trockener, und das Virus möge keine Trockenheit. Weil solche Effekte beim Sachverständigenrat nicht ausreichend berücksichtigt worden seien, habe er das Gremium verlassen. Auch andere Kommissionen hätten solche „groben handwerklichen Fehler“ gemacht.
Fazit zu Christian Drostens Auftritt vor dem Corona-Untersuchungsausschuss in Sachsen: Auffallend defensiv
Der Auftritt Drostens vor dem Corona-Untersuchungsausschuss war in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Von seiner früheren angriffslustigen Schärfe war wenig übriggeblieben. Zwar gab er sich entspannt und antwortete in professoraler Geduld auf grundlegende virologische Fragen. Doch sobald die Fragen kritischer wurden, reagierte er auffallend defensiv. Obwohl er als Sachverständiger geladen war, begab sich Drosten des Öfteren von selbst in die Position eines Zeugen, gar die eines Angeklagten. Er sprach proaktiv Themen an, die ihm persönlich oder der Politik angelastet werden - ohne, dass die Abgeordneten überhaupt danach gefragt hatten.
Drosten wählte eine ähnliche Strategie wie Lars Schaade vor dem Verwaltungsgericht Osnabrück: Eine Art „Flucht nach vorne“ bei Themen, bei denen es ohnehin nichts mehr zu leugnen gab, weil alle Informationen dazu bereits öffentlich bekannt waren – etwa bei seiner Leopoldina-Stellungnahme, oder seiner missglückten Afrika-Prognose.
Einerseits sind das zwar „Eingeständnisse“, andererseits sind diese vergleichsweise harmlos und funktionieren nach der Logik eines „Limited Hangout“, einer “begrenzten Enthüllung”: Wenn die Teilnahme an einem zehnseitiges Papier einer renommierten Wissenschaftsinstitution wie der Leopoldina bereits Drostens „größte Fehlentscheidung“ während der Pandemiejahre war, dann kann es ja nicht sehr viel Schlimmeres gegeben haben.
Drosten räumte vor dem Corona-Untersuchungsausschuss in Sachsen zwei Fehleinschätzungen ein, während er den weitaus größeren Teil seiner Fehleinschätzungen sogar noch weiter bekräftigte. Dabei verwickelte er sich nicht selten in Widersprüche: Einerseits legte er dar, die Schulschließungen seien aus Überlegungen um das Kindeswohl erfolgt, aus Sorge vor späten Folgeerkrankungen, die man anfangs noch nicht so genau einschätzen konnte. Nur um dann an anderer Stelle zu betonen, welch wichtigen Beitrag Schulschließungen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens geleistet hätten - als wolle er Maßnahmen, für die er bis heute verantwortlich gemacht wird, rückblickend einen „Persilschein“ ausstellen: Es war zwar hart, ihr habt mich dafür gescholten, aber schlussendlich waren es die effektivsten Maßnahmen überhaupt.
In der Psychologie nennt man ein solches Verhalten „Escalation of commitment“ – Entscheidungen, die sich im Nachhinein als falsch herausgestellt haben, werden noch einmal extra bekräftigt, um sich nicht dafür rechtfertigen zu müssen.
Drosten behauptete, der Virus sei auf eine völlig immunnaive Bevölkerung gestoßen, obwohl ihm durch die Teilnahme an einer frühen Studie eine bereits vorhandene T-Zell-Kreuzimmunität von 34 Prozent der Probanden bekannt war. Aus seiner Sicht sei es nur der Impfung zu verdanken gewesen, dass die Bevölkerung eine ausreichend starke Hintergrundimmunität gegen Corona aufbauen konnte. Er verbreitete weiterhin die Legende eines angeblich nicht absehbaren Endes des exponentiellen Wachstums des Virus, von der man am Anfang ausgehen musste.
Drosten sieht sich nicht als "Architekt" der deutschen Maßnahmenstrategie. Auch den Eindruck, er sei medial "sehr präsent" gewesen sei, teilt er nicht: Er sei nur in wenigen Talkshows aufgetreten und hätte nur wenige Interviews gegeben. Das Zeitfenster seiner Politikberatung datiert er “vielleicht bis den Herbst 2020”, und dann erst wieder beim Expertenrat von Olaf Scholz im Dezember 2021. Hier trügt ihn seine Erinnerung: Drosten beriet noch am 04. und 18. Januar 2021 die Ministerpräsidentenkonferenz von Merkel. Damit hatte er auch Anteil am zweiten Lockdown. Zudem empfahl er Anfang Dezember 2020 in einer Leopoldina-Stellungnahme zusammen mit anderen Wissenschaftlern einen harten Lockdown, der von den Ländern im Winter 2021 durchgesetzt wurde.
Die Frage nach dem Virusursprung lässt Drosten heute offen und meint, er wisse es selbst nicht. Bei dem Thema habe er "keinerlei Befangenheiten". Dabei lässt er unerwähnt, dass er sich von Anfang an stark gegen die Laborthese ausgesprochen hat, und dass sein berufliches Netzwerk und seine Forschungsarbeit durchaus als "Befangenheit" gewertet werden kann.
Drosten behauptet, die ersten Daten hätten auf eine zehn bis 20-fach erhöhte Todesrate bei Corona im Vergleich zur Grippe hingewiesen. Auf die geringe Übersterblichkeit des Jahres 2020, und einen Anstieg der Übersterblichkeit in den Jahren 2021 und 2022 geht er nicht ein. Er geht auch weiterhin von einer Korrelation zwischen Impfrate und Inzidenz aus. Politische Slogans wie die "Pandemie der Ungeimpften" werden von Drosten in Schutz genommen: Man habe sich damals in der Politik überlegt, was man tun könne, um die Impfquote zu steigern. Jens Spahn habe mit dem Spruch "Aufmerksamkeit für das Thema” erregen wollen.
Am Beispiel der ersten Welle in Schweden demonstriert Drosten, dass die deutschen Maßnahmen sehr gut funktioniert hätten - die “laxen” Maßnahmen, die Schweden zu Anfang gehabt hätte, seien gescheitert. Dabei lässt er unbeachtet, dass Schweden über den Jahresverlauf eine viel geringere Übersterblichkeit hatte als Deutschland. Zudem behauptet er, Schweden hätte vergleichbare oder im Dezember 2020 sogar stärkere Maßnahmen als Deutschland gehabt. Der Government Stringency Index der Oxford-Universität widerlegt das. Seine Evaluation der Effektivität der Maßnahmen stützt er auf eine einzige Studie der Royal Society, die in Fachkreisen stark umstritten ist.
Drosten lobt das deutsche Maßnahmenregime, wo man dank der "frühen Diagnostik" das Infektionsgeschehen schon früh auf Landkreisebene habe auflösen können. Dadurch habe man in Deutschland im Vergleich zum Vereinigten Königreich 60 Tausend Leben gerettet. Dabei lässt er unerwähnt, dass er einen Interessenkonflikt beim Lob dieser Maßnahme hat, da er der Entwickler des Tests ist. Auch lässt er seine frühere Erkenntnis außen vor, dass die PCR-Methode zur Diagnostik ungeeignet ist, da sie nur positive Rachenabstriche, aber keine Infektionen nachweisen kann.
Nachdem Medienberichte seine frühere Behauptung, er habe nie eine Impfpflicht gefordert, widerlegt hatten, präsentierte Drosten nun das leicht angepasste Narrativ, er habe vor den Medien keine Impfpflicht gefordert - unterschlägt dabei aber, dass er 1G, und damit noch eine härtere Maßnahme als 2G forderte - wobei sogar der regierungstreue Ethikrat die 2G-Regel als eine "staatlich induzierte Impfpflicht" bezeichnet hatte.
Drosten stellte vor dem Untersuchungssausschuss erneut sein autoritär geprägtes Wissenschaftsverständnis unter Beweis, mit dem er auch schon in der Vergangenheit aufgefallen ist. Dabei lehnt Drosten einen breiten wissenschaftlichen Beratungsprozess der Politik ab und möchte nur „ausgewählte Experten“ zu Wort kommen lassen. Zu viele unterschiedliche Stimmen aus der Wissenschaft bezeichnet er als „Kakophonie“. Den Sachverständigenrat kritisierte er dafür, Saisonalität bei der Bewertung der Maßnahmen nicht berücksichtigt zu haben, obwohl er selbst in der Vergangenheit die Saisonalität heruntergespielt hatte.
Christian Drosten wird oft als „der deutsche Fauci“ bezeichnet. Der ehemalige NIAID-Direktor Anthony Fauci verlautbarte bei verschiedenen Gelegenheiten, er repräsentiere “die Wissenschaft”. Am 09. Juni 2021 sagte er in einem MSNBC-Interview mit Chuck Todd: „A lot of what you’re seeing as attacks on me, quite frankly, are attacks on science“ - “Viele der Angriffe, denen ich ausgesetzt bin, sind eigentlich Angriffe auf die Wissenschaft.” Am 28. November 2021 erklärte er in einem CBS-Interview mit Margaret Brennan: “They're really criticizing science because I represent science. That's dangerous." - “Sie kritisieren mich, weil ich die Wissenschaft repräsentiere. Das ist gefährlich.”
Die Aussagen hätten auch von Christian Drosten stammen können.
Das war Teil Eins der Anhörung von Christian Drosten vor dem Corona-Untersuchungsausschuss Sachsen in der Rolle eines Sachverständigen. Teil Zwei soll am 21. August 2025 um 10 Uhr fortgesetzt werden. Die Fraktion der AfD plant darüber hinaus, Drosten noch einmal in der Rolle eines Zeugen vorzuladen.
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Vielen Dank für diese grossartige Arbeit!
As others comment here, what a magnificent body of work.
It will be interesting to see what other things are admitted.
Already we see confirmation of multiple labs in several countries including Ukraine as well as China, funded by the USA for gain of function research. The research even carried on for a while in the USA after it became illegal.
Worryingly, the research is still going on.