Corona-Untersuchungsausschuss: Marcel Luthe stellt Strafanzeige gegen Ministerpräsident Dietmar Woidke
Bei der letzten Corona-Ausschusssitzung fielen zweifelhafte Äußerungen des brandenburgischen MP Dietmar Woidke - Gewerkschafts-Vorsitzender Marcel Luthe hat nun Strafanzeige eingereicht
Der letzte Corona-Untersuchungsausschuss im Brandenburger Landtag hat nun Konsequenzen: Marcel Luthe, parteiloser ehemaliger Abgeordneter und Bundesvorsitzender der „Good Governance Gewerkschaft“ hat eine Strafanzeige gegen Ministerpräsident Dietmar Woidke eingereicht. Tatverdacht: Uneidliche Falschaussage vor dem Corona-Untersuchungsausschuss. Marcel Luthe ist ein erfahrener Kläger: Im Jahr 2021 hatte er erfolgreich gegen die Berlin-Wahl geklagt - diese musste daraufhin am 12. Februar 2023 vollständig wiederholt werden, was unter anderem zur Abwahl von Franziska Giffey (SPD) und Wahl von Kai Wegener (CDU) zum neuen Regierenden Bürgermeister Berlins geführt hatte. Auch war er der erste Abgeordnete bundesweit, der schon im April 2020 gegen die ersten Corona-Verordnungen geklagt hat. Die Berliner Verordnung wurde daraufhin rasch geändert. Aktuell klagt er mit seiner Good Governance Gewerkschaft für die Künstlerin Julia Neigel vor dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der damaligen 2G-Regelungen in Sachsen.
Der Grund für Luthes neueste Klage gegen den den brandenburgischen Ministerpräsidenten: Als Dietmar Woidke beim letzten Untersuchungsausschuss am 15. März nach der Zielvorstellung der Ausgangssperren für Ungeimpfte von 22 Uhr bis 6 Uhr im Januar 2022 befragt wurde, die in sechs Landkreisen in Brandenburg zur Anwendung gekommen waren, hatte Woidke behauptet, dies sei "auf Landkreisebene beschlossen worden". Es seien "eigenverantwortliche" Entscheidungen der Landräte gewesen - und er glaube, dass die Landräte damit sehr verantwortlich gehandelt hätten. Er sei froh, dass die Landräte "eigeninitiativ" Maßnahmen verhängt hätten, um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Über diese Aussagen hatte ich am 15. März live berichtet.
Im Nachgang zur Ausschusssitzung hatten die Äußerungen Woidkes unmittelbar Fragen aufgeworfen: Die in den sechs Brandenburger Landkreisen verhängten Ausgangssperren für Ungeimpfte konnten keinesfalls von Landräten eigeninitiativ beschlossen worden sein, denn sie beruhten auf der Corona-Verordnung der brandenburgischen Landesregierung, in der unter Paragraf 27 klar geregelt ist, wann die Ausgangssperren zu gelten haben: Sobald eine Inzidenz von 750 überschritten ist, und mehr als 10% Covid-Patienten auf den Intensivstationen liegen. Es handelte sich hierbei eindeutig um eine Muss-, keine Kann-Bestimmung für die Landkreise. Die Ausschuss-Sitzung, in der die entsprechenden Äußerungen Woidkes fielen, hatte ich am 20. März in einem ausführlichen Bericht festgehalten.
Eine Presseanfrage meinerseits an das Büro von Ministerpräsident Dietmar Woidke wurde nicht überzeugend beantwortet. Der Pressesprecher verwies darauf, dass “laut Corona-Verordnung die Anordnung der Ausgangsbeschränkungen gem. § 27 in die Zuständigkeit der Landkreise und kreisfreien Städte gelegt worden war”. Wenn jedoch etwas via Verordnung „angeordnet“ ist, kann es nicht gleichzeitig „eigeninitiativ“ vollzogen worden sein, wie von Woidke vor dem Ausschuss behauptet wurde - dies schließt sich logisch aus.
Vor diesem Hintergrund hat Marcel Luthe nun am 03. April eine Strafanzeige gegen Ministerpräsident Dietmar Woidke bei der Polizei Brandenburg eingereicht. Im Folgenden der Text der Strafanzeige im genauen Wortlaut.
„Der Ministerpräsident des Landes Brandenburg Dr. Dietmar Woidke hat als Zeuge vor dem UA 7/3 des Landtages ausgesagt. Auf die Frage, ob ihm erinnerlich sei, mit welcher Zielvorstellung im Zuge der "Corona-Politik" "Ausgangssperren" in verschiedenen Landkreisen des Landes Brandenburg verhängt wurden, antwortete er nach Berichten anwesender Medienvertreter wie folgt:
Dies sei "auf Landkreisebene beschlossen worden". Es seien "eigenverantwortliche" Entscheidungen der Landräte gewesen - und er glaube, dass die Landräte damit sehr verantwortlich gehandelt hätten. Er sei froh, dass die Landräte "eigeninitiativ" Maßnahmen verhängt hätten, um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Infektionen einzudämmen sei in Deutschland im Großen und Ganzen durch die politischen Maßnahmen gut gelungen - und "darauf sei er auch ein stückweit stolz".
Quelle: https://twitter.com/aya_velazquez/status/1768634608604557573?s=20
Die Aussage des Herrn Dr. Woidke ist falsch im Sinne des § 153 StGB. Richtig ist, dass es sich bei § 27 Abs. 1 der Zweiten SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung – 2. SARS-CoV-2-EindV Brandenburg (https://bravors.brandenburg.de/de/verordnungen-253932#27) um eine Muss-Bestimmung handelt, "die Landkreise" bzw. "die Landräte" nach dieser bindenden Verordnung der Landesregierung Brandenburg also keinerlei Ermessensspielraum hatten.
"Sobald laut Veröffentlichung des Robert Koch-Instituts (https://www.rki.de/inzidenzen) in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt die Sieben-Tage-Inzidenz für drei Tage ununterbrochen den Schwellenwert von 750 überschreitet und zusätzlich landesweit laut Veröffentlichung des Landesamtes für Arbeitsschutz, Verbraucherschutz und Gesundheit (https://kkm.brandenburg.de/kkm/de/corona/fallzahlen-land-brandenburg/) der Anteil der intensivstationär behandelten COVID-19-Patientinnen und -Patienten in Bezug auf die tatsächlich verfügbaren intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten den Schwellenwert von mindestens zehn Prozent erreicht, hat die zuständige Behörde die Überschreitung und Erreichung unverzüglich in geeigneter Weise öffentlich bekanntzugeben. Für die Zählung der nach Satz 1 maßgeblichen Tage werden die zwei unmittelbar vor dem 24. November 2021 liegenden Tage mitgezählt. Ab dem Tag nach der Bekanntgabe gelten in diesem Landkreis oder dieser kreisfreien Stadt folgende Schutzmaßnahmen: In der Zeit von 22 Uhr bis 6 Uhr des Folgetages ist der Aufenthalt im öffentlichen Raum nur in den folgenden Fällen sowie in weiteren vergleichbar gewichtigen Ausnahmefällen zulässig:
der Besuch von Ehe- oder Lebenspartnerinnen und -partnern sowie von Lebensgefährtinnen und Lebensgefährten, die Wahrnehmung des Sorge- oder eines gesetzlichen oder gerichtlich angeordneten Umgangsrechts, die Begleitung von unterstützungsbedürftigen Personen, die Begleitung und Betreuung von schwer erkrankten Kindern, von Sterbenden und von Personen in akut lebensbedrohlichen Zuständen, die Inanspruchnahme medizinischer, therapeutischer und pflegerischer Leistungen, die Inanspruchnahme veterinärmedizinischer Leistungen und die Versorgung und Pflege von Tieren, die Abwendung einer Gefahr für Leib, Leben und Eigentum, das Aufsuchen der Arbeitsstätte und die Ausübung beruflicher, dienstlicher oder der Erfüllung öffentlich-rechtlicher Aufgaben dienender ehrenamtlicher Tätigkeiten, die Teilnahme an Versammlungen im Sinne des Versammlungsgesetzes, religiösen Veranstaltungen, nicht-religiösen Hochzeiten und Bestattungen, die Teilnahme an nach dieser Verordnung nicht untersagten Veranstaltungen, die Durchführung von Maßnahmen der Tierseuchenbekämpfung und zur Jagdausübung durch jagdberechtigte und beauftragte Personen.
Die nächtliche Ausgangsbeschränkung nach Satz 3 Nummer 1 gilt nicht für geimpfte Personen nach § 2 Nummer 2 der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung, die einen auf sie ausgestellten Impfnachweis nach § 2 Nummer 3 der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung vorlegen, genesene Personen nach § 2 Nummer 4 der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung, die einen auf sie ausgestellten Genesenennachweis nach § 2 Nummer 5 der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung vorlegen, Personen, für die aus gesundheitlichen Gründen keine Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission ausgesprochen wurde; die gesundheitlichen Gründe sind vor Ort durch ein schriftliches ärztliches Zeugnis im Original nachzuweisen; die datenschutzrechtlichen Bestimmungen nach § 4 Absatz 4 Satz 2 bis 7 gelten entsprechend. Die zuständige Behörde hat auf die Rechtsfolge nach Satz 3 im Rahmen der öffentlichen Bekanntgabe hinzuweisen."
Es handelte sich also bei den nach § 27 Abs. 1 der Verordnung verhängten Maßnahmen, die Gegenstand der parlamentarischen Untersuchung waren, nicht um "eigenverantwortliche Entscheidungen der Landräte", die nicht "eigeninitiativ Maßnahmen verhängt" haben.
Verantwortlich für diese mittlerweile immer offenkundiger willkürlichen und im weiteren wie engeren Sinne unverhältnismäßigen Maßnahmen war vielmehr die Regierung des Bundeslandes Brandenburg, deren Richtlinien nach Art. 89 I der Verfassung des Landes Brandenburg Herr Dr. Woidke als Ministerpräsident allein bestimmt, denn die vorgenannte Verordnung ist durch die durch Herrn Dr. Woidke ernannte Ministerin für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz Ursula Nonnenmacher nach vorheriger Befassung im Kabinett erlassen worden.
Herr Dr. Woidke hatte es sich auch nicht nehmen lassen, den entsprechenden Beschluss seines Kabinetts selbst gegenüber der Presse zu verkünden. (https://www.rbb24.de/politik/thema/corona/beitraege/2021/11/brandenburg-2g-kontaktbeschraenkung-neue-regeln-mittwoch.html)
Die politische Verantwortlichkeit unterliegt bei der parlamentarischen Untersuchung nicht einer reinen Gesetzmäßigkeitskontrolle, sondern der nicht objektivierbaren Prüfung, ob eine bestimmte Maßnahme politisch betrachtet "gut" oder "schlecht" war, vgl. Udo di Fabio, Rechtsschutz im parlamentarischen Verfahren, Seite 36 ff.
Dies führt zu einer Ausweitung der Verantwortung von politischen Amtsträgern, deren politische Verantwortlichkeit im Gegensatz zur rechtlichen auch ihre persönliche Schuld besteht, vgl. Wolf, Parlamentarischer Untersuchungsausschuss und Strafjustiz, S. 127 m.w.N.; Hermes in Dreier, GG, Art. 65 Rn. 39 u.v.m.
Diese Verantwortlichkeit zu klären war und ist Teil des Auftrages des Untersuchungsausschusses. Für eine Strafbarkeit nach § 153 StGB ist Vorsatz erforderlich, wobei bedingter Vorsatz genügt. Eine Fahrlässigkeit dürfte insoweit ausscheiden, als dass der Ausschussvorsitzende Eichelbaum Herrn Dr. Woidke über seine Wahrheitspflicht belehrt und dieser die Belehrung nach eigenem Bekunden verstanden hat.
Für die Strafzumessung - nicht die Strafbarkeit selbst - kann dabei von Bedeutung sein, ob es sich um eine für den zu entscheidenden Sachverhalt wesentliche Tatsache handelt, vgl. Schönke/Schröder/Bosch/Schittenhelm StGB § 153 Rn. 11. Das ist aus Sicht des Unterzeichners insoweit zu bejahen, als dass gerade die Frage der Verhältnismäßigkeit der ergriffenen Maßnahmen und die dafür zu übernehmende politische Verantwortung eine der zentralen Fragen ist, zu deren Klärung der Ausschuss eingesetzt wurde.
Es handelt sich bei einer Tat nach § 153 StGB um ein Offizialdelikt; höchst vorsorglich stelle ich jedoch auch ausdrücklich Strafantrag und bitte um fristgerechte Übermittlung eines Strafantragsformulars.
Ergänzungen zum Tatverdacht:
Herr Dr. Woidke ist ebenfalls Mitglied des Landtages von Brandenburg und unterliegt insoweit der Immunität nach Art. 58 der Verfassung des Landes Brandenburg, so dass bei Bejahen eines Anfangsverdachts zunächst über die Generalstaatsanwaltschaft vor Einleitung von Ermittlungsmaßnahmen die Aufhebung der Immunität für die Zwecke dieser Untersuchung notwendig wäre.”
Bei Offizialdelikten hat die Staatsanwaltschaft einen klaren Ermittlungsauftrag. Für Luthe ist klar, dass die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen Woidke eröffnen muss: „Wenn ein Anfangsverdacht vorliegt, also eine strafbare Handlung nach dem beschriebenen Sachverhalt auch nur möglich ist, muss ermittelt werden. Es ist ein Schlag ins Gesicht des Souveräns – der Bürger unseres Landes – wenn ein Vertreter der Exekutive wie Woidke einen Untersuchungsausschuss entweder auf die leichte Schulter nimmt und Märchen erzählt oder gar vorsätzlich lügt, um sich aus der Verantwortung zu stehlen.”
Über den weiteren Verlauf des Verfahrens werde ich berichten.
Anmerkung, 09.04. 10:33 Uhr:
Der Rechtsanwalt Friedemann Däblitz wies auf einen kleinen Fehler in der Strafanzeige hin, der sich jedoch zugunsten derselben auswirkt: Bezüglich der Frage der Immunität von Herrn Woidke besagt die Verfassung des Landes Brandenburg gemäß Artikel 58: ”Jede Strafverfolgungsmaßnahme gegen ein Mitglied des Landtages, jede Haft und jede sonstige Beschränkung seiner persönlichen Freiheit sind auf Verlangen des Landtages auszusetzen, wenn durch sie die parlamentarische Arbeit des Landtages beeinträchtigt wird.” Ministerpräsident Dietmar Woidke ist demnach laut Brandenburger Verfassung NICHT immun - der Landtag müsste erst selbstständig aktiv werden und eine Immunität von Herrn Woidke verlangen. Dies stellt eine Besonderheit der brandenburgischen - etwa im Gegensatz zur Berliner Verfassung - dar. Quelle: https://bravors.brandenburg.de/de/gesetze-212792#58
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Danke dafür. Auch mein Kind und ich waren aufgrund unseres "Impfstatus" in Brandenburg eingesperrt gewesen und durften nicht das Grundstück verlassen. Es war das erste Mal, dass mir so etwas widerfahren ist - und es hat meine Auffassung zur Vulnerabilität unserer Freiheit und meine Beziehung zu den Herrschenden nachhaltig beeinflusst.
Mich könnt ihr von der Liste der Hörigen und Folgsamen streichen.
Sinnlos ... Völkerrechtswidrige Gerichte in Deutschland
Da wir in Deutschland – wie 1933 (!) –keine Gewaltenteilung haben, gibt es auch keine unabhängigen Gerichte i.S.d. Artikel 14 (1) S.2 des UN-Zivilpaktes (ICCPR) / analog Art. 6 (1) S. 1 EMRK und somit auch keinen demokratischen Rechtsstaat ...
Zitat:
„Deutschland hat faktisch keine Gewaltenteilung wie in vielen anderen Ländern Europas, die Staatsanwälte sind dem Justizministerium weisungsgebunden unterstellt und die Richter werden durch Einstellung, Beförderung und Beurteilung vom Justizministerium gesteuert.“
https://programm.ard.de/TV/tagesschau24/Startseite/?sendung=28721972088763
Zudem ist bekannt …
Richter am BVerfG werden von Politikern „ausgekungelt“.
https://www.haufe.de/recht/kanzleimanagement/gewaltenteilung-wie-werden-in-deutschland-richter-ausgewaehlt_222_421016.html
Ferner hatte der Europarat Deutschland – bislang vergeblich – aufgefordert ein System der Selbstverwaltung der Justiz einzuführen und die Möglichkeit abzuschaffen, dass Justizminister der Staatsanwaltschaft Anweisungen zu einzelnen Fällen geben. Deutschland ignoriert den Europarat.
https://www.gewaltenteilung.de/europarat-pressemitteilung/
Des weiteren bleibt zu erwähnen, dass deutsche Staatsanwaltschaften aufgrund der Rechtsprechung des EuGH keine EU-Haftbefehle mehr unterschreiben dürfen. Dies aus Gründen fehlender Unabhängigkeit (EuGH C-508/18, C-82/19, C-509/18).
https://www.sueddeutsche.de/politik/justiz-ungute-abhaengigkeiten-1.5075478