Die Rache der Linken
Das mit Abstand beste Buch über die globale Corona-Maßnahmenpolitik kommt aus Frankreich und löste dort viel Wirbel aus: Das "Konspirationistische Manifest"
Für Menschen, die sich linken Werten verbunden fühlen, aber der globalen Corona-Maßnahmenpolitik kritisch gegenüberstanden, waren die letzten zweieinhalb Jahre eine Tortur. Während sich Rechte wie Liberale auf Werte wie Konservatismus, die Freiheit des Individuums sowie der Wirtschaft berufen und schnell eine maßnahmenkritische Haltung einnehmen konnten, hatten Linke es ungleich schwerer. Einer ebenso cleveren, wie abgefeimten Medienkampagne war es gelungen, einen Großteil der Linken mit pseudolinker Rhetorik wie “Solidarität” oder “Gemeinschaftsschutz” zu einer Akzeptanz des repressiven Maßnahmenapparats zu bewegen. Die Linke ließ sich größtenteils einlullen und den vergifteten Kuchen schmecken, als hätte sie nur darauf gewartet, von „Public Private Partnerships“ auf die sprichwörtliche Couch verfrachtet zu werden. Doch der Wind beginnt sich zu drehen: In Frankreich wurde Anfang des Jahres 2022 das Konspirationistische Manifest veröffentlicht. Die Autoren: anonym. Angenommen, das Buch würde gelesen und verstanden, ginge es dahinter eigentlich nicht mehr zurück.
Ich erinnere mich noch, als ob es gestern gewesen wäre, an den fast schon ikonischen Satz eines „linken“ Freundes von mir, als ich ihn im März 2020 vorsichtig auf die repressive Natur der Corona-Maßnahmenpolitik hinwies. Seine Antwort an mich lautete:
„Nein, du siehst das völlig falsch! Der Lockdown ist ein Etappensieg für uns, denn unser Feind – das Großkapital – liegt gerade am Boden!“
Ich spürte damals schon, das mit dieser Einschätzung etwas nicht stimmen konnte. Angesichts der Geschmeidigkeit, mit der sich „das Großkapital“ in besagten Lockdown eingefügt hatte, erschien eine Läuterung und plötzliche Sorge um ältere und vulnerable Menschen doch mehr als unwahrscheinlich. Ich rang mit einer gewissen Sprachlosigkeit: Mir fehlten schlichtweg die Worte, um meinem tiefen Unbehagen Ausdruck zu verleihen. Nachdem ich eine einzige regierungskritische Demo besucht hatte, war es mit besagter Freundschaft dann selbstredend vorbei.
Eine Erfahrung, die sich so oder ähnlich seit März 2020 millionenfach in Deutschland, ja auf der ganzen Welt abgespielt hat. Die Spaltung der Linken war eine mithilfe des Kalküls von Sozialingenieuren bewusst herbeigeführte, strukturelle Entmachtungserfahrung. Die Linke wurde gespalten in eine staatstreue „Wir impfen euch alle!“-Linke, und eine ihren Werten treu bleibende Linke, die sich ab diesem Moment nur noch verwundert die Augen reiben konnte. Praktisch über Nacht brachen langjährige Freundschaften weg, wenn jemand es wagte, sich angesichts der vermeintlich „schlimmsten Pandemie seit der Spanischen Grippe“ als Regierungs- oder Pharma-Kritiker zu outen. Noch ehe man die eigene Sprachlosigkeit überwinden und aus dem Spiegelkabinett toxisch verdrehter Begriffe ausbrechen konnte, entgingen bereits Verfehmungen wie Pandemieleugner, Solidaritätsverweigerer, Massen- respektive Omamörder.
Ab 2021 sind jedoch neue Dynamiken innerhalb der Linken zu beobachten: Seitdem konsolidiert sich langsam ein genuin linker Widerstands-Diskurs, ohne dabei den vielbeschworenen Querfront-Versuchungen zu erliegen. Eine Diskurshoheit über die vollständig in den Mainstream absorbierte Pseudo-Linke gewann dieser zwar noch nicht zurück, doch mit der linken Sprachlosigkeit dürfte es spätestens seit Januar 2022 endlich vorbei sein - denn sie hat nun “ihr” Manifest erhalten:
Das Konspirationistische Manifest. Es handelt sich dabei um eine wortgewaltige, geistige Munition mit bemerkenswerter Analysetiefe aus unserem schönen Nachbarland Frankreich.
Das Rätsel um die Autoren
Das Konspirationistische Manifest ist das Werk eines anonymen französischen Autoren oder Autorenkollektivs, das am 21. Janar 2022 unter dem Titel Manifeste conspirationniste im angesehenen Verlagshaus „Éditions du Seuil“ erschien. Eine französische Ebook-Version kursiert gratis.
Es ist das Buch, auf das jener Teil der Linken, der sich seit März 2020 nur noch verwundert die Augen rieb, sehnlichst gewartet haben dürfte. In Frankreich schlug es, unter anderem aufgrund des respektablen Verlegers, hohe Wellen. Seine Urheberschaft wurde von der französischen Presse prompt im Umfeld des sogenannten Unsichtbaren Komitee verortet, das bis dato drei Werke veröffentlicht hatte: 2007 erschien L'insurrection qui vient (Der kommende Aufstand). Das Werk sorgte umgehend für Panik im französischen Innenministerium. In 2014 folgte À nos amis (An unsere Freunde) und 2017 Maintenant (Jetzt).
Die drei Werke des „Unsichtbaren Kommittees“ erschienen in deutscher Übersetzung im Nautilus Verlag und wurden vom deutschen Links-Feuilleton noch mit viel Wohlwollen und Lob zur Kenntnis genommen.
Der Hauptautor des Unsichtbaren Komitees, Julien Coupat, der als Kopf der sogenannten “Gruppe von Tarnac” galt, wurde kurz nach dem Erscheinen von Der kommende Aufstand aufgrund eines Terrorverdachts inhaftiert. Ihm wurde die Sabotage eines Hochgeschwindigkeitszug vorgeworfen, im genauen Wortlaut: "Leitung einer kriminellen Vereinigung und Sachbeschädigung im Zusammenhang mit einer terroristischen Unternehmung". Coupat und seine Lebensgefährtin Lévy wurden verdächtigt, in der Nacht vom 7. auf den 8. November 2008 in Dhuisy, Seine-et-Marne, die Strecke zwischen Paris und Straßburg sabotiert zu haben, indem sie einen Metallhaken an einer Oberleitung befestigten. Laut dem Journalisten David Dufresne, Autor des Buches Tarnac, magasin général war der Fall von Anfang an politisch. Er wies darauf hin, dass die französischen Geheimdienste gemäß einer Aussage von Sarkozy ab 2008 als "FBI nach französischem Vorbild" reorganisiert worden waren. Die Causa Tarnac war ihr erster großer Fall. Acht weitere Personen wurden zusammen mit Coupat angeklagt.
Gemeinsam mit anderen Intellektuellen setzte sich der heutige Verlagschef der Éditions du Seuil, Hugues Jallon, für Coupat ein. Da sich die Vorwürfe nicht erhärten ließen, wurde Coupat nach sechs Monaten in Untersuchungshaft im Mai 2009 wieder freigelassen. Seine Unschuld wurde 2018 schlussendlich durch ein Pariser Strafgericht bestätigt. Wie die französische Zeitung Télérama dazu schreibt, waren
„die Ermittlungen in dieser schlüsselfertig verkauften Terrorismusaffäre von Fehlern und Grauzonen durchsetzt (mangelhafte Beweise, Verfahrensfehler, falsche Zeugenaussagen usw.), und die Staatsmacht wurde verdächtigt, sie für politische Zwecke zu instrumentalisieren. All diese Irrungen und Wirrungen verwandelten die "Affäre Tarnac" nach und nach in ein juristisches Fiasko: Nach jahrelangem Verfahren wies das Kassationsgericht im Januar 2017 den Vorwurf des Terrorismus endgültig zurück.“
In Anbetracht jener aufgeheizten Gemengelage schlug die Veröffentlichung des Konspirationistischen Manifests im Januar 2022 beim angesehenen Verlagshaus Éditions du Seuil, das von französischen Zeitungen sofort dem Unsichtbaren Komitee zugeschrieben wurde, erwartungsgemäß ein wie eine Bombe. Der Verleger Hugues Jallon kommentierte die Veröffentlichung gegenüber der Zeitung Télerama wie folgt:
"Es ist ein Buch, das Geschichte schreiben wird, ganz einfach, weil es andere Perspektiven vorschlägt, um über das nachzudenken, was uns passiert." Er sei angetan gewesen von dem "originellen, spannenden, intellektuell strukturierten, politischen Vorschlag“, auch wenn er mit einigen Analysen nicht einverstanden sei.
Im Vorfeld der Veröffentlichung hätte Jallon wohl mit den Autoren einleitende Gespräche über eine private Mailbox geführt. Die Identität der Autoren sei ihm bekannt, doch er würde diese nicht preisgeben. In einer Presseerklärung des Verlags wird die Veröffentlichung mit den Worten verteidigt, beim Konspirationismus handele es sich um einen „Prozess des politisches Erwachens“. Diesen den „Identitären, Zemmour oder Le Pen zu überlassen" sei „selbstmörderisch“.
Einen Tag vor Erscheinen des Konspirationistischen Manifests dementierte das Unsichtbare Komitee seine Urheberschaft auf Twitter etwas kryptisch durch die Aussage, es würde „alle seine Schriften signieren“. Das Konspirationistische Manifest hingegen ist unsigniert.
Am 07. Februar 2022 nimmt das Unsichtbare Komitee in einem lesenswerten Comunique auf der Webseite Schisme Bezug auf das Konspirationistische Manifest, allerdings ohne eine Urheberschaft zu bestätigen. Das Comunique wurde von der Online-Zeitschrift Sunzi Bingfa auf Deutsch übersetzt. Der Text amüsiert sich über das geistige Tieffliegertum einer völlig im Dunkeln tappenden französischen Mainstream-Presse, die der deutschen augenscheinlich in nichts nachsteht. Zudem erfährt man hier, dass die französische Polizei wohl der Presse angebliche Informationen auf den Urheber des Werkes durchgestochen hätte, nachdem sie die Korrespondenzen des Verlegers Hugues Jallon überwacht hatte.
„Das kürzliche Erscheinen eines wirklich anonymen und für die Epoche völlig inakzeptablen Buches, Das Manifest der Verschwörung, bot die Gelegenheit für einen bemerkenswerten Versuch der Rache all derer, die sich bis heute durch die „Erfolge“ des Unsichtbaren Komitees gedemütigt fühlten. Dieses Manifest wird übrigens von denselben Hurra-Rufen, demselben bitteren Gekicher und derselben verletzten Selbstgefälligkeit begrüßt, die Tiqqun und den kommenden Aufstand begrüßt hatten – und die ihm das gleiche Schicksal versprechen. Das Signal zur öffentlichen Lynchjustiz wurde dem Express diesmal durch „Informationen“ der Polizei gegeben – eine schlecht gemachte Beschattung, gefolgt vom Abfangen und Vernichten von Korrespondenz – gegen einen „angesehenen“ Pariser Verleger, wobei man es nicht wagt, die Beschattung erneut dem DGSI zuzuschreiben. Die journalistischen Lakaien folgten mutig, ohne sich daran zu erinnern, wie wenig erfolgreich sie in der Vergangenheit waren, wenn sie mit den Wölfen gegen das Unsichtbare Komitee heulten. Auf dem Höhepunkt ihrer Kampagne rühmten sie sich, nichts von dem Manifest zu verstehen, nicht ohne sich zuvor darüber zu beschweren, dass das Buch in zu vielen Bereichen zu informiert sei, um ihm widersprechen zu können – arme Kohlköpfe! Und was für eine seltsame Zeit ist das, in der sich Köpfe im Homeoffice anmaßen, ein Buch zu rezensieren, das sie nicht gelesen haben?“
Einen möglichen Grund, warum die Urheberschaft des Konspirationistischen Manifests so heftig dementiert wird, liefert das Vorwort:
„Dieses Buch ist anonym, weil es niemandem gehört; es gehört zur laufenden Bewegung der gesellschaftlichen Zersetzung. Es begleitet das, was geschehen wird – in sechs Monaten, in einem Jahr oder in zehn. Es wäre verdächtig und nicht nur unklug gewesen, wenn es sich mit einem oder mehreren Namen autorisiert hätte oder es irgendeinem Ruhm diente. „Der Unterschied zwischen einem wahren Gedanken und einer Lüge besteht darin, dass die Lüge logischerweise einen Denker erfordert und wahres Denken nicht. Es braucht niemanden, um einen wahren Gedanken zu erfassen. [.] Die einzigen Gedanken, für die es zwingend einen Denker braucht, sind Lügen.“ (Wilfred R. Bion, Aufmerksamkeit und Interpretation, 1970)
Konspirationistisches Manifest: Vorwort, S.6
Auch das Moment der Rache, das im letzten Kapitel „Sich verschwören, also“, skizziert wird, könnte ein Grund für die Bevorzugung einer anonymen Veröffentlichung sein - auch im Hinblick auf die Verhaftung des Julien Coupat:
„Wir wollen uns rächen. Uns rächen für diese zwei Jahre weißer Folter. Dafür, dass man uns den Arm verdreht hat, damit wir uns impfen lassen. Für die Toten, die wir nicht beerdigen konnten. Für die verlorenen Freunde, übel zugerichtet oder auf Beruhigungsmitteln. Für die sich ausdehnende Wüste. Für die erzwungene Stille. Für die galaktischen Bären, die sie uns aufgebunden haben. Für die Beleidigungen der Logik. Für das vernarbte Zartgefühl. Für die Alten, die man ohne Vorwarnung fallen ließ, und die Kinder, die man ohne Grund misshandelte. Uns rächen für die ruinierte Erde und die sterbenden Ozeane. Für die prächtigen Wesen, die von der Fortschrittsmaschine zermalmt wurden, und die Heiligen, die in der Anstalt landeten. Für die ermordeten Städte und das versiegelte Land. Für die Beleidigung dieser Welt und aller nie entstandenen Welten. Für all die Besiegten der Geschichte, deren Namen man nie feiert. Uns rächen für die Arroganz der Mächtigen und die abgrundtiefe Dummheit der Manager. Für die Gewissheit, dass es ihr gutes Recht wäre, die anderen zu zerquetschen. Für die Unverschämtheit, mit der sie nach der Fortsetzung ihres räuberischen Kurs streben. Dafür, dass sie es vermochten, uns in den Zustand der Verwirrung, des Zweifels und der Hilflosigkeit zu setzen. Man erkennt dieser Tage die Dreckskerle daran, dass sie nie sagen, was sie wollen, dass sie sogar behaupten, gar nichts zu wollen, und dass im übrigen niemand jemals etwas will. Und das bildet gerade die Voraussetzung für all ihre kleinen, unaufhörlichen Machenschaften. Wir wollen uns rächen, und wir haben einen in sich ruhenden Hass, durchdacht und nicht überschäumend.
Im Übrigen rächen wir uns bereits. Eine gute Rache ist immer heilsam. Sie ist das beste Gegenmittel gegen das Ressentiment.“
Konspirationistisches Manifest, Kapitel 11.4/ S.196
Dass staatliche Sicherheitsakteure und stromlinienförmige Feuilletonisten bei solchen Formulierungen erwartungsgemäß Schnappatmung bekommen, war von den Autoren des Manifests wohl mitbedacht worden. An nur einer einzigen Stelle des Buches geben sie einen vagen Hinweis auf sich selbst: So demonstrierten sie am 17. Oktober 2020 in Paris gegen Ausgangssperre, weil ihnen die verhängnisvolle Symbolkraft des Datums übel aufgestoßen war:
„Um die Sache noch bissiger zu machen, wurde sie [die Ausgangssperre] am Abend des 17. Oktober eingeführt. Ein 17. Oktober – wie damals im Jahr 1961, an dem die demonstrierenden Algerier, weil gegen sie eine Ausgangssperre verhängt wurde, zu Hunderten in der Seine landeten. Daten sind alles, woran sich die Regierenden aus ihren Jahren in den Vorbereitungsklassen erinnern können. Dieses Datum war dreist. Stimmen wir zu. An diesem Abend waren wir einige Hundert, die, um der neuen Schikane zu trotzen, vom Place du Châtelet bis zum Gare de l'Est schlenderten. Auf dem Weg dorthin besserten wir die Fassade einer kleinen Polizeistation aus. Wir, denen die Ironie des Datums nicht schmeckte, waren einige Hundert von mehreren Millionen Einwohnern von Paris. Ein Schwindelgefühl. Vielleicht ist es aber auch die Form der „Demonstration“ selbst, die nicht mehr in die neue Zeit passt. Vielleicht verlangt diese nach Formen, die einerseits verstohlener und andererseits forscher sind. Als wir die Rue Saint-Denis hinaufgingen, blieb unseren armseligen Mündern nur ein armseliges dreisilbiges Wort: „li-ber-té“. Gewiss, man konnte schreiben: „Einzig das Wort Freiheit vermag mich noch zu begeistern. Ich halte es für geeignet, die alte Flamme, den Fanatismus des Menschen für alle Zeiten zu erhalten“ (André Breton, Manifest des Surrealismus, 1924) Aber schließlich klang es nach der „Re-vo-lu-tion“, die, aus einer ganz anderen Zeit kommend, am 16. März 2019 auf magische Weise die Champs-Élysées in Wallung brachte, wie eine Rückkehr zum absoluten politischen Minimum. Eine Sache ist es, die Revolution zu skandieren, die man nicht zustande bringt. Eine andere ist es, eine Idee für sich zu reklamieren, die so ätherisch ist, dass sie den Eingang zu den Gefängnissen der Republik zieren kann.“
Konspirationistisches Manifest, Kapitel 8.2, S. 105
Bislang traute sich kein einziger großer deutscher Verleger an eine deutsche Veröffentlichung des Manifests heran. Es wurde jedoch von einem ebenfalls anonymen Autorenkollektiv rund um das Berliner Lokal Laidak übersetzt und am 07.08.2022 außerhalb des regulären Büchermarkts herausgegeben. Zu erwähnen sei an dieser Stelle, dass das Autorenkollektiv rund um das Laidak in wechselnder Besetzung auch einen eigenen, lesenswerten, maßnahmenkritischen Sammelband mit dem schönen Titel Der Erreger herausbringt.
Worum geht es beim Konspirationistischen Manifest?
Der Satz auf der Rückseite des Buchdeckels verheißt mit erfrischend-provokantem Selbstbewusstsein: „Wir werden siegen, weil wir tiefgründiger sind“. Ein Satz, der in mehrerlei Hinsicht aufhorchen lässt: Er verweist darauf, dass sich die Verfasser des Kriegscharakters des Maßnahmenregimes nur allzu bewusst sind - und ihm gleichzeitig selbstbewusst ins Gesicht lachen.
Die Vorwegnahme des Sieges als magische Handlung: Obgleich besagter Sieg von der bloßen Lektüre eines Buches natürlich nicht eingelöst werden kann, gelingt es dem Manifest dennoch, jener proklamierten, überlegenen Tiefgründigkeit gerecht zu werden. Nach einer seit zweieinhalb Jahren andauernden, intellektuellen Demütigung mündiger Bürger durch eine beschämend infantilisierende Ansprache seitens der Politik, stellt dieses Buch für denkende Menschen eine Wohltat dar. Balsam für geschundene Intellektuellen-Seelen.
Die thematische Bandbreite des Werkes ist von hoher Dichte und theoretischer Stringenz. In elf Kapiteln werden verschiedene Dimensionen des Corona-Regimes beleuchtet. Es wird überzeugend aufgezeigt, dass es sich beim Corona-Maßnahmenregime nicht um einen Krieg gegen ein Virus, sondern gegen die Menschen handelte. Der Begriff Konspirationismus wird umrissen als ein „Bewusstsein, das sich nicht selbst entwaffnet“. Die Planmäßigkeit der globalen Pandemiepolitik wird anhand der Vorgeschichte der technokratischen Preparedness-Ideologie beleuchtet. Das Corona-Maßnahmen-Regime wird in eine folgerichtige Kontinuität zu Policies des Kalten Krieges, sowie jahrelang erprobten MK Ultra-Praktiken gestellt.
Ein Kapitel widmet sich dem „Gehirn des Pentagon“, der DARPA (Defense Advanced Research Projects Agency) und deren zentralen Forschungsprojekten, die bis heute unsere Wirklichkeit konstituieren: Von der Erfindung des Internets bis hin zur neuen Formen der Massenüberwachung im Rahmen der NBIC-Technologien (Nano-, Bio-, Informations- und Kognitionstechnologien).
Ein Kapitel über Nudging befasst sich mit der Theorie des Konzeptes und den Pandemie-Nudging-Taskforces in Frankreich, Deutschland, Großbritannien und den USA. In diesem Zusammenhang wird sogar das Email-Dokument der COVID-19-Task Force des deutschen Bundesinnenministeriums vom März 2020 ausführlich beschrieben. Die hochskandalösen Vorgänge rund um Horst Seehofers und Markus Kerbers berüchtigte „Panik Task Force“ sind somit auch in unserem Nachbarland angekommen.
“Der Begriff Nudge, eine „sanfte Methode, um kluge Entscheidungen anzustoßen“, ist selbst ein enormer Nudge. Eine Falle für Einfaltspinsel. Diejenigen, die euch davon überzeugen wollen, dass die Menschheit eine Ansammlung von Nichtsnutzen ist, haben sich in aller Regel große Verbrechen vorzuwerfen.”
Konspirationistisches Manifest, S.85
Im Fokus stehen auch die Konzepte der Biopolitik, der Urbanisierung und einer bewusst menschenfeindlichen Stadtarchitektur, die zu einer erhöhten Verwundbarkeit der Bürger beigetragen habe. Als ideologischer roter Faden technokratischer Herrschaftssysteme wird der Positivismus identifiziert. Ein Unterkapitel ist den eugenischen Umtrieben der Rockefeller-Familie gewidmet, der Geschichte der Public Health-Ideologie und der „Verviehung“ des Menschen.
“Indem sie uns dauernd wie eine Herde behandelten, haben sie uns für dummes Vieh gehalten. Sie glauben, dass sie alles sagen können und niemand es verstehen wird. Das ist die „verfügbare Gehirnzeit“ von Le Lay. Oder Warren Buffetts „Wir haben den Klassenkampf gewonnen“. Oder Laurent Alexandre in einer Ansprache an die Studenten des Polytechnikum: „Ihr Götter, die ihr die NBIC-Technologien bewältigt, kontrolliert und verwaltet, werdet den Nutzlosen gegenüber eine Kluft schaffen. […]
Die Verschwörungstheoretiker machen sie wahnsinnig, weil sie erkennen, dass ihre Wette gescheitert ist. Es reicht nicht, uns abzulenken und zu terrorisieren, um uns still zu halten. Wir machen uns kundig. Wir bilden uns. Wir diskutieren. Wir lesen. Wir denken. Schlimmer noch, wir bemühen uns, das, was wir glauben, verstanden zu haben, weiterzugeben.”
Konspirationistisches Manifest, S. 118
Eine der in meinen Augen diskutablen Thesen des Buches ist die Beschreibung des globalen Corona-Resets als Reaktion auf lokale, simultane Proteste von 2019, die von globalen Eliten angeblich als systemgefährdend eingestuft wurden: Darunter Chile, Hongkong, Libanon, Katalonien, Kolumbien, sowie die Gelbwesten in Frankreich. Diese Darstellung ist in meinen Augen wenig überzeugend: Zu unterschiedlich waren jeweils die Ziele der einzelnen Bewegungen, und in der Summe auch nicht wirklich systemgefährdend. Viel kritischer waren selbstzersetzende Prozesse des globalen Finanzsystems, die sich durch die Finanzkrise von 2008 und den Börsenschock im Herbst 2019 bereits abzeichneten. Ein Börsenbeben bringt das System mehr zum Zittern, als wenn in Chile oder Hongkong ein paar Millionen Menschen rebellieren - ohne damit die lokale Bedeutung von Aufständen in irgendeiner Form schmälern zu wollen. An dieser Stelle kommt kurz der Verdacht auf, ob die Autoren hier in die Falle einer Bewegungsromantik getappt sind und zu einer Überschätzung des “eigenen” Impacts neigen. Aber die These ist es dennoch wert, diskutiert zu werden.
Das Buch schließt mit der Bereitschaftserklärung, sich für den Eliten-Terror der letzten zweieinhalb Jahre, die gesellschaftliche Atomisierung, zynischen Lügen, die sinnlose Quälerei der Wehrlosesten der Gesellschaft, wie Kindern und älteren Menschen, rächen zu wollen. Wie jene Rache konkret aussehen soll, wird bewusst offen gehalten, doch es werden Hinweise für persönliche Wege aus dem Terror skizziert. Das Moment der Rache klingt im Konspirationistischen Manifests lediglich an und ist vielmehr als Bekenntnis zu einer klaren, inneren Geisteshaltung zu verstehen, da „Rache ein gesundes Grundgefühl“ sei, und Negativität dadurch nicht in Selbstaggression, sondern die „richtige“ Richtung - die des äußeren Aggressors -gelenkt würde. Wurde die letzten zweieinhalb Jahre ohne Unterlass an die “richtige”, staatsbürgerliche Haltung appelliert: Voilà - hier ist sie.
Man begegnet selten einem Werk, in dem man versucht ist, jeden zweiten Satz mit einem Marker hervorzuheben. Das Konspirationistische Manifest verkörpert alle Tugenden, die eine “echte Linke” schon immer ausgemacht haben und sie unverwechselbar von einer durch Social Engineering entstellten “Neo-Linken” unterscheidet: Neben einer sich den Schwächsten der Gesellschaft verpflichtet fühlenden Herzenswärme, eine bemerkenswert hohe Bildung und eine geradezu akribische Belesenheit. Hier hat sich jemand Tage und Nächte um die Ohren geschlagen, die Literatur des Feindes seziert, deren Subtexte verstanden und jene Denkströmungen, die zum Totalitarismus des heutigen Regime führten, in einem sinnvollen Erzählstrang verflochten. Aus der detailverliebten Quellenarbeit eines wahrhaft denkenden Subjekts entstand so im Konspirationistischen Manifest etwas, das in unserer schnelllebigen Social Media Infohäppchen-Welt rar geworden ist: Ein „Big Picture“.
Fazit: Bildet Lesekreis-Banden!
Das Konspirationistische Manifest ermutigt zu einer Affirmation einer intuitiv gefühlten Wahrheit: Eine Bestärkung aller Zweifler, die von Anfang an wussten, dass das Maskieren von Kindern, das Wegsperren und Einsam-sterben-Lassen von älteren Menschen, der Impfzwang, die gesellschaftliche Häme, die kleinen und großen Grausamkeiten, nicht richtig und schon gar nicht links gewesen sein konnten. Nichts anderes ist mit dem Rachegedanken gemeint, der im Konspirationistischen Manifest postuliert wird – und an dem sich brave, deutsche Bildungsbürger so sehr stören, dass das Konspirationistische Manifest wohl, anders als die vorangegangenen Schriften des Unsichtbaren Komitees, diesmal nur auf Erfolg in entsprechend aufgeklärten Kreisen hoffen kann.
Das Buch ist, vergleichbar mit buddhistischen Weisheitstexten, „selbstverschließend“ - es kann nur von jenen verstanden werden, die ähnliche Denkfiguren selbst schon einmal erdacht und erfühlt haben. Wie das deutsche Übersetzerteam aus dem Umfeld des Laidak korrekt anmerkt:
„Letztlich handelt es sich um eine Art Briefing, das für all jene nützlich sein kann, die seit dem "weltweiten Schlag" vor nun mehr als 2 Jahren in durchaus konfuse Opposition geraten sind. Hingegen werden es alle anderen abwehren, ignorieren oder nicht verstehen. 'Die Debatte findet nicht zwischen Konspirationismus und Antikonspirationismus statt, sondern innerhalb des Konspirationismus.' Entsprechend soll und kann dieses Buch sicher niemanden überzeugen.“
Die postulierte Rache besteht darin, dem „Feind“ zu zeigen, dass man ihn sieht – und dadurch inmitten eines Prozesses, der Menschen in zynischer Verachtung zu entmenschlichen trachtet, seine eigene Würde zu bewahren. Das Werk agiert durch seinen hochqualitativen Informationsgehalt an der Speerspitze der Informationsfront - mit einer klaren Botschaft an Politik, Konzerne, gekaufte Wissenschaftler und Geheimdienste: Wir sehen euch - bei allem, was ihr tut.
Wer sich also zu jenem Teil der Linken zählt, der es ab März 2020 lieber bevorzugte, sich des eigenen, kritischen Verstandes zu bedienen, anstatt diesen bei einem Triumvirat aus Regierungspropaganda, Netflix und sozialen Medien abzugeben, der dürfte an der Lektüre des Konspirationistischen Manifests seine hellste Freude haben. Ein Buch, aus dem nicht genug gelesen, und bei lauschigen Abenden am Kamin einander vorgelesen werden kann.
Bildet Banden: Bildet Lesekreis-Banden. Und bald ist schließlich auch Weihnachten…
Das Konspirationistische Manifest kann für 6€ per Email unter konspiration@protonmail.com oder hier bestellt werden. Das in stets wechselnder Besetzung arbeitende Autorenkollektiv rund um das Berliner Lokal Laidak gibt einen ebenfalls sehr empfehlenswerten, maßnahmenkritischen Sammelband aus linker Perspektive heraus, der bislang zweimal erschien: Der Erreger (2021, 2022), ebenfalls 6€.
Addendum: Pressespiegel
Die Perzeption des Konspirationistischen Manifests in französischen und deutschen Medien
L'Express: Vaccins, "Great Reset". Julien Coupat et le Seuil légitiment le complotisme d'extrême gauche
(zu Deutsch: Impfungen, Great Reset. Julien Coupat und Seuil legitimieren ultralinke Verschwörungstheorien) Drei Tage vor dem offiziellen Erscheinungsdatum des Manifests veröffentlicht die französische Zeitung L'Express darüber bereits einen Artikel. Das Buch „recycle Elemente, die in der Complosphere [französischer Pendant-Begriff für „verschwörungstheoretische Szene“, Anmerkung A.V.] für Furore sorgen.“ Der Artikel legt als Allererstes die Urheberschaft von Julien Coupat nahe. Als Replik auf eine spöttische Note des Unsichtbare Komitee: "Wie lächerlich haben sich die Medien gemacht, wenn sie als 'Verschwörungstheorie' ausgeben, was in Büchern, die sie selbst nicht einmal durchgeblättert haben, in aller Deutlichkeit steht", kontert L’Express, sie hätten Klaus Schwabs Buch The Great Reset sehr wohl sorgfältig gelesen, aber wenn jemand darin “ein teuflisches Projekt” sehen würde, könne dies bei ihnen “nur ein Lächeln hervorrufen”. (18.01.2022)
Télérama: Pourquoi le Seuil publie-t-il un brûlot conspirationniste attribué à Julien Coupat?
(Zu Deutsch: Warum veröffentlicht Le Seuil einen verschwörungstheoretischen Brandbrief, der Julien Coupat zugeschrieben wird?) Die französische Zeitung Télérama moniert, Coupat versuche, “der Linken der Linken seine Meisterschaft in Sachen Verschwörungstheorie aufzuzwingen. Die “379 wortreichen und ärgerlichen Seiten” seien nur schwer wiederzugeben. Es würden viele große Namen herangezogen, mit der wahnwitzigen These, sie alle seien ausnahmslos Verschwörungstheoretiker gewesen: Brecht ("Die Wahrheit muss handhabbar sein wie eine Waffe"), Machiavelli ("Das Böse muss auf einmal geschehen, damit diejenigen, denen es angetan wird, keine Zeit haben, es auszukosten"), Kafka ("Wir leben alle, als wären wir Despoten"), Dick ("Um ehrlich zu sein, sind wir der Meinung, dass es nichts Gefährlicheres geben kann als eine Gesellschaft, in der Psychopathen vorherrschen"), ebenso Foucault, Marx, Nietzsche, Freud, Adorno, Deleuze, Rimbaud, Baudelaire, Artaud, Pynchon oder Hegel. Unerhört! (21.01.2022)
Reporterre: Et si conspirer était une bonne idée?
(Zu Deutsch: Und wenn sich verschwören eine gute Idee wäre?) Interessante, erstaunlich wohlwollende Rezension des Manifest im französischen Online-Umweltmagazin Reporterre. (22.01.2022)
Le Parisien: Thèses antivax, auteurs inconnus... ce que l’on sait du Manifeste du Conspirationnisme, publié chez Seuil
Die größte französische Zeitung „Le Parisien“ bezeichnet das Manifest als „anarchistisches Pamphlet“, das eigentlich eher ein „Glaubensbekenntnis“ oder „verlegerischer Schachzug“ sei – eine keineswegs verwerfliche, aber moralisch fragwürdige Strategie. Es bekenne sich zu einer Verschwörungstheorie, die „links sein möchte“. Le Parisien zitiert auch Rudy Reischtadt, den Direktor der NGO Conspiracy Watch, der das Buch als "pedantische und gelehrte Lyrik" bezeichnet, die von literarischen Referenzen durchsetzt sei und dadurch dem Leser schmeicheln soll. Es sei eine Wiederholung der absurdesten Verschwörungstheorien. (26.01.2022)
Eigentlich erstaunlich, dass deutsche Mainstream-Medien wie die bürgerliche Welt oder das in den letzten zweieinhalb Jahren durch besondere Regierungstreue aufgefallene Neue Deutschland sich überhaupt dazu herabließen, dem Konspirationistischen Manifest Beachtung in Form mehrerer Rezensionen zu schenken. Mögliche Gründe dürften wohl im hohen Renommée des französischen Verlagshauses Éditions du Seuil liegen, sowie im großen Wirbel, den das Buch in Frankreich verursachte.
Welt: Wir werden gewinnen, weil wir tiefer gehen
Die Welt-Autorin Martina Meister scheint selbst zu ahnen, dass sie den Text nicht verstanden hat, da sie ihrem Text einen pseudo-selbstironischen Disclaimer voranstellt: „Eine Warnung gleich vorneweg: Als Journalistin ist die Autorin dieser Zeilen naturgemäß ‘verblendet’, ja ‘versklavt’ und nichts weiter als ein willfähriges Rädchen im Getriebe der fremden Macht“. Sie hat gerade noch mitbekommen, dass in dem von ihr als “Pamphlet” bezeichneten Manifest, „sämtliche berühmte Denker, die man so im bildungsbürgerlichen Regal zu stehen hat“ zitiert werden. Die Hauptthese des Buches müsse jedoch „mühsam“ entziffert werden, man müsse sich bis zu Ende „durchkämpfen“. Es handele sich um „ein „Upcycling sämtlicher Verschwörungstheorien, die sich seit Ausbruch der Pandemie wie ein intellektuelles Virus verbreitet haben und in Frankreich in der Pseudo-Doku „Hold Up“ eine Ahnung davon gaben, dass Querdenker resistent gegen rationale Argumente sind.“ In unerträglichem Paternalismus folgert sie, das Verlaghaus Éditions du Seuil hätte sich mit der Veröffentlichung selbst geschadet. Klassisch deutsches Feuilleton: Man kann es wohl wieder einmal nicht lassen, die gesamte Welt zu belehren. (18.02.2022)
Non.Copyriot: Ein Manifest der Verschwörung
Der Frankfurter Blog-Autor Achim Szepanski veröffentlichte zwei Wochen nach Erscheinen des Konspirationistischen Manifests in Frankreich eine erste deutsche Übersetzung des Vorworts und ersten Kapitels des Konspirationistischen Manifests. (07.02.2022)
Sunzi Binfa: Kommunique-no-0
Das Magazin Sunzi Binfa und non.copyriot veröffentlichten eine lesenswerte Übersetzung eines Komuniques des Unsichtbaren Kommittees, das auf der französischsprachigen Website SCHISME erschien. (19.02.2022)
Neues Deutschland: Guy Debord spuckt auf dich
Der Artikel des ND eröffnet mit einer Reminiszenz an die Situationisten, in deren geistiger Tradition das „Unsichtbare Komittee“ stünde: Erstere seien einst „ehrbare Leute“ gewesen. Ein Seitenhieb, der wohl implizieren soll, dass man gleiches von den heutigen Situationisten so nicht mehr sagen könne. Heute hingegen sei „nicht nur die herrschende Ordnung etwas durcheinandergeraten, die Opposition ist es auch.“ Es folgt ein Framing mit der selbst in maßnahmenkritischen Kreisen hochumstrittenen Personalie Anselm Lenz, der sich vom linken Taz-Autoren zum Advokat einer „urwüchsigen Querfront“ (O-Ton Lenz) entwickelt hat. Ein Autor, der bewusst den Schulterschluss mit Rechten sucht. Anselm Lenz hat das Konspirationistische Manifest jedoch weder übersetzt, noch herausgegeben, noch sonst etwas mit dem Werk zu tun. Ein Framing mit Anselm Lenz ist daher unlauter, manipulativ und schlichtweg falsch: Nichts an dem Manifest verweist auf Rechtsruck- oder Querfront-Tendenzen, geschweige denn gängigen Talking Points der Rechten. Dem Konspirationistischen Manifest könne „man alles vorwerfen, was bereits für Der kommende Aufstand galt. Zu wenig marxistisch, zu voluntaristisch, zu wenig Adorno, zu überspitzt, zu wenig Klassenanalyse, zu diffus, zu wenig auf die Linke zugehend, zu anarchistisch… Es „teile freilich auch die Vorzüge“. So bekäme „man ein Bild der Wirklichkeit, das zwar sehr düster ist, aber über Herrschaft mehr zu sagen weiß, als dass sie von ominösen Strukturen ausgeht.“ Am Ende fragt der Autor suggestiv, noch einmal bezugnehmend auf Anselm Lenz: „Neigt der Situationismus zum Verschwörungsdenken? Indem er sich als Gegenverschwörung zur herrschenden begreift, sieht es ganz danach aus. Doch ist das schon der halbe Weg nach Schnellroda?“ Mein Fazit: Wer mit derart billigen Framings hantiert, diskreditiert sich selbst. (22.07.2022)
Telepolis: Anonymes Bekenntnis zur Verschwörung
Der bei Telepolis erschienene Text zum Konspirationistischen Manifest ist recht ausgewogen. Der Autor Peter Nowak staunt, dass „die Autoren unverkennbar einen akademischen Hintergrund haben, wie unschwer an den Zitaten einer Menge von Wissenschaftlern, Philosophen und Schriftstellern zu erkennen ist. Auch wenig bekannte Quellen werden herangezogen. Besonders frappierend ist, dass die Autoren auch in den verschiedenen Wissensfakultäten bewandert sind.“ Er kritisiert jedoch, dass die Autoren „sich wenig für reale Machtverschiebungen in bürgerlichen Gesellschaften oder Klassenkämpfe interessieren“ würden. Ähnlich wie schon der ND-Artikel kritisiert er das Manifest als nicht links genug, zu anarchistisch. Wohingegen einzuwenden wäre: Wann genau haben sich die hierzulande die aktuell am Ruder sitzenden „Neo-Linken“ eigentlich zuletzt für Klassenkämpfe interessiert? Nowak kritisiert auch die Kritik an Wissenschaftlerinnen der 1930/ 1940er Jahre in den USA, die mit der CIA kooperierten – wobei es doch damals um den hehren Kampf gegen Nazi-Deutschland ging. Auch würde die Stadtplanung im Mittelalter romantisiert, ohne auf die Problematik jener Epoche hinzuweisen. Auch die These, „Die Konterrevolution von 2020 ist eine Reaktion auf die Aufstände von 2019“ wird von Nowak kritisch gesehen, da hier völlig verschiedene Aufstände zusammengenannt werden, ohne auf unterschiedliche inhaltliche Forderungen einzugehen. Am Schluss fragt er, „ob das Bekenntnis zur Konspiration nicht auch ein Marketing-Ding ist. Es wird sich zeigen, ob die Feuilletons, die den Kommenden Aufstand so lobten, diese Schrift überhaupt erwähnen oder eher totschweigen.“ Nun: Ich tippe auf Totschweigen, allerdings nicht aufgrund einer mangelnden Qualität des Manifests, sondern weil zwischen 2008 und 2022 der eingangs beschriebene Bruch durch die Linken gegangen ist, den der Autor offenbar nicht als ursächlich für ein Totschweigen des Werkes zu erkennen vermag. (08.08.2022)
Untergrund-Blättle: Widerspruch zur Einordnung des Konspirationistischen Manifestes durch Peter Nowak
Lesenswerte Verteidigung des Konspirationistischen Manifests von Hanna Mittelstädt, der früheren Herausgeberin des Nautilus-Verlages, in dem die drei Bände des Unsichtbaren Komitees auf Deutsch übersetzt erschienen waren. (16.08.2022)
Sunzi Bingfa: Konspiration und Rauschen
Lesenswerte Buchrezension des Konspirationistischen Manifests im Online-Magazin Sunzi Bingfa: (22.08.2022)
Welt: Wir wollen uns rächen. Rächen für diese zwei Jahre weißer Folter
Nach dem Erscheinen der deutschen Übersetzung des Manifests bringt die Welt dazu einen weiteren Artikel. In diesem sinniert der Autor zunächst über den rebellischen Charme, der Flugschriften anhafte und zu deren Beliebtheit beitrüge. Aber auch dieser Text argumentiert grandios an dem von ihm als “Pamphlet“ bezeichneten Manifest vorbei: Eine Aufzählung lokaler Formen des Lockdowns wird als unzulässige Gleichmacherei verstanden: „Dabei werden die politischen, ökonomischen und demografischen Unterschiede der Nationalstaaten komplett ignoriert (.) ohne Entfaltung staatenspezifischer Differenzen.“ Fast erschreckend, wie sehr an die eigentliche Botschaft des Manifests seitens des Welt-Autors unverstanden bleibt: Der Verdeutlichung einer „globalen Signatur des Terrors“ in all seinen lokalen Ausprägungen. Wenn in einer Aufzählung dargestellt wird, wie in Kolumbien Oppositionelle zum Wohle der Ausgangssperre in ihren Häusern exekutiert, oder in Indien 'Unberührbare' zwecks Desinfektion mit Chlor besprüht wurden, geht es nicht darum, diese verschiedenen Arten der Grausamkeiten „gleichzusetzen“, sondern eine Handschrift struktureller Menschenverachtung aufzuzeigen, die den Corona-Maßnahmen von Anfang innewohnte – obwohl stets Gegenteiliges behauptet wurde. Der Autor kritisiert zudem, das Manifest ließe völlig außer Acht, dass die Maßnahmen von einer Breite der Bevölkerung getragen wurden, ohne die Dimension von Nudging und Social Engineering verstanden zu haben, obwohl gerade diese im Manifest ausführlich erörtert werden. Des Weiteren kritisiert er den Rachegedanken, obwohl im Manifest an keiner Stelle zu offener Gewalt aufgerufen wird. Rachegefühle und Wut solle man, wohl ganz in der Tradition einer lustvollen protestantischen Selbstbegrenzung, wohl am besten gar nicht erst zulassen, gar nicht erst fühlen. Doch gerade gegen eine solche innere Gefühlskastrierung setzt das Manifest ein kraftvolles Statement, das erwartungsgemäß von einem zahnlosen Bildungsbürgertum als reinste Provokation empfunden werden muss. So bezeichnet der Welt-Autor den Text auch abwertend als „Vulgäranarchismus“ - was auch immer er darunter versteht. (22.09.2022)
Anarchismus.de: “Sich verschwören, also”
Lesenswerte Rezension des Konspirationistischen Manifest auf der Webseite anarchismus.de (01.11.2022) [Quelle hinzugefügt am 11.11.2022]
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Die Linke läßt sich seit Jahren durch ähnliche Kampagnen-Konstrukte vor den Karren spannen. Das gleiche Schema sieht man bei Klimawandel, Identitätspolitik, Lieferketten-Gesetzen und ja, auch dem aktuellen Ukraine-Krieg. Alles Themen, wo vor allem die Großfinanz profitiert und erfolgreiche Konzepte auf nationaler Ebene geschliffen werden (aktuell eben die soziale Marktwirtschaft in DE bzw. EU). Es ist geradezu traurig, dass es kaum intellektuelle Linke gibt, die das erkennen und dagegen agitieren, am prominentesten dürfte hier Sarah Wagenknecht sein.
Die Rezension hinterlässt eine Art invertierten Lauterbach-Effekt: Wir wissen, Aya, dass du hervorragend schreiben kannst, aber das hindert dich nicht an der Selbstüberbietung.