„Wir haben uns als Lobby für Kinder und Jugendliche verstanden“
Die Kanzlergattin und ehemalige Bildungsministerin Britta Ernst wurde erneut in den Brandenburger Corona-Untersuchungsausschuss vorgeladen. Ihre Aussagen sorgten teilweise für Entrüstung im Publikum.
Am Freitag, dem 17. November 2023 fand die dritte Sitzung des Corona-Untersuchungsausschusses zur Aufarbeitung der Corona-Politik der brandenburgischen Landesregierung, auf Initiative der AfD, im Brandenburger Landtag statt. Vernommen wurde diesmal erneut die Kanzlergattin und ehemalige brandenburgische Bildungsministerin Britta Ernst, sowie ihre damalige Staatssekretärin im Ministerium, Ines Jesse.
Die Kanzlergattin Britta Ernst wurde erneut als Zeugin in den Corona-Untersuchungsausschuss des Brandenburger Landtages geladen, da sie von 2017 bis 2023 brandenburgische Bildungsministerin war. In dieser Rolle hatte sie im Sommer 2021 unter anderem auf eine baldige STIKO-Empfehlung der COVID-19-Impfung für Kinder und Jugendliche gedrängt, während sie gleichzeitig erklärte, die Empfehlung der STIKO sei für die Landesregierung richtungsweisend und ausschlaggebend gewesen. Zum damaligen Zeitpunkt gab es jedoch bereits eine STIKO-Empfehlung der COVID-19 Impfung für vorerkrankte Kinder - dies reichte der ehemaligen brandenburgischen Bildungsministerin jedoch offensichtlich nicht aus.
In der Vernehmung dazu befragt, erwiderte Ernst, sie hätte sich eine Empfehlung der STIKO für die Kinder-Impfung gewünscht, da eine „hohe Impfquote der Kinder geeignet sei, um damit Schulschließungen zu vermeiden“ und fügte hinzu: „Es wäre schön, es gäbe eine Empfehlung für die Impfung, weil die Kinder dann einen zusätzlichen Schutz haben“. Zudem habe man Kenntnis darüber gehabt, dass in anderen Ländern diese Altergruppe bereits geimpft würde, daher habe man sich das für Deutschland auch gewünscht. Die Frage des AfD-Abgeordneten Hünich nach einer Verhältnismäßigkeit der Kinderimpfung, zumal diese kaum von der Krankheit betroffen sein, wurde vom Ausschussvorsitzenden Danny Eichelbaum (CDU) als „Meinungsäußerung“ zurückgewiesen – eine solche sei in diesem Rahmen nicht gestattet.
Die Maskenpflicht im Unterricht
Im Hinblick auf das Thema Maskenpflicht im Unterricht für Kinder erklärte Ernst, hier seien die Ministerpräsidentenkonferenzen handlungsleitend gewesen – zudem hätten „50 renommierte wissenschaftliche Einrichtungen“ dafür votiert. Die befragenden AfD-Abgeordneten wollten wissen, ob das Ministerium in diesem Prozess auch ein eigenes Mitspracherecht gehabt hätten – hierauf erklärte Ernst, jedes Ministerium hätte die ganze Zeit lange Mitspracherechte gehabt. Ernsts Ministerium hätte sich demnach dafür eingesetzt, keine Masken in Kindertagesstätten einzuführen, denn „dadurch hätte man die Grundrechte der Kinder verletzt“. Größere Kinder hätten die Maskenpflicht im Unterricht jedoch „sehr tapfer akzeptiert“.
Auf letztere Formulierung hin wurden im Zuschauerraum Laute der Entrüstung vernehmbar – der Vorsitzende Danny Eichelbaum intervenierte daraufhin und forderte, die Äußerung von Meinungsbekundungen zu unterlassen, sonst müsse er die Zuschauer des Saales verweisen.
Laut Ernst sei das Hauptziel der Maskenpflicht und Testpflicht an Schulen, sowie dem Wunsch nach einer baldigen STIKO-Impfempfehlung für Kinder gewesen, das Offenhalten von Schulen zu gewährleisen und einen weiteren Lockdown zu vermeiden. Hierbei sei das Recht auf Bildung gegen die „notwendigen Kontaktbeschränkungen” abgewogen worden.
Auf die Frage, ob es an den Schulen “Schulungen zum richtigen Tragen der Masken” gegeben hätte, antwortete Ernst, dies sei ihr nicht bekannt. Der AfD-Abgeordnete Lars Hünich wollte von Ernst wissen, ob die ehemalige Ministerin den Begriff der „Maskenhygiene“ kenne. Britta Ernst antwortete: „Da müsste ich jetzt frei assoziieren und das möchte ich nicht.“
Der Impfempfehlungs-Brief an die Eltern und der Impf-Flyer “Impfen macht Schule” für die 12-17 jährigen Schüler
Des Weiteren ging es auch um einen Impfempfehlungs-Brief, den die Landesregierung im Sommer 2021 über die Schulen an die Eltern von Schulkindern zwischen 12 und 17 Jahren verschickt hatte. Saskia Ludwig wollte wissen, vom wem die Idee zu diesem Brief gekommen sei. Britta Ernst erklärte, hierbei habe es sich um eine Absprache zwischen der brandenburgischen Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher und ihr selbst gehandelt. Es sei eine „Gemeinschaftsproduktion beider Ministerien (Gesundheitsministerium und Bildungsministerium)“ gewesen. Ziel des Briefes sei es gewesen, die Eltern von Kindern der Altersgruppe 12-17 darüber zu informieren, dass die STIKO eine Impf-Empfehlung für diese Altersgruppe ausgesprochen hätte – jener Empfehlung, die Ernst zuvor noch selbst von der STIKO erwünscht und eingefordert hatte.
Die AfD-Abgeordnete Daniela Oeynhausen fragte Ernst, ob die Ernst für ihre Impfflyer-Kampagne im Sommer 2021 mit dem Motto „Impfen macht Schule“ eins zu eins den Impfflyer der thüringischen Landesregierung übernommen hätte – erarbeitet in Zusammenarbeit mit der Universität Erfurt - oder ob Änderungen daran vorgenommen worden seien. Ernst antwortet, der Flyer sei mit minimalen Änderungen im Wesentlichen so übernommen worden.
Auf die Frage hin, welcher medizinische Sachverstand im Ministerium vorgelegen hätte, um den Flyer mit herauszugeben, antwortet Ernst erstaunlich unumwunden und ehrlich: „Wir haben keinen medizinischen Sachverstand im Ministerium.“ Dies falle in den Aufgabenbereich der Gesundheitspolitik.
Die AfD-Abgeordnete Oeynhausen verwies auf ein Zitat auf dem Impfflyer: „Bei der Sicherheit werden keine Kompromisse gemacht.“ Zum damaligen Zeitpunkt seien Impf-Folgeschäden mit unbekannten Langzeitwirkungen jedoch bereits bekannt gewesen - inwieweit sich das mit der Botschaft auf dem Impfflyer vertrage. Auch auf diese Frage musste die ehemalige Ministerin erneut nicht antworten.
Die CDU-Abgeordnete Saskia Ludwig fragte Ernst, wann dieser persönlich klar geworden sei, dass die Impfung das abgegebene Versprechen – Fremdschutz und Eigenschutz – nicht einlösen könne. Frau Ernst zögerte zunächst mit ihrer Antwort, erklärte dann jedoch, dass “sie sagen könne, dass sie diese Einschätzung nicht teile”. Darüber hinaus befände man sich hier erneut im Bereich der Gesundheitspolitik, diese gehöre nicht zu ihrem Ressort.
Die Kenntnis von schweren Impfnebenwirkungen bei Kindern und Jugendlichen
Die CDU-Abgeordnete Saskia Ludwig wollte von Ernst wissen, ob diese Kenntnis gehabt hätte von den Zulassungsstudien, und den darin beschriebenen Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche – inklusive Fällen von Myokarditis, die vor allem bei männlichen Jugendlichen aufgetreten seien. Diese Frage musste Ernst – mit dem Hinweis, man bewege sich hier im Feld der Gesundheitspolitik - erneut nicht beantworten – ebenso wie die Frage, ob im Ministerium die Überlegung stattgefunden habe, die Impf-Empfehlung auf Grundlage neuer Daten zu revidieren. Ludwig wollte auch wissen, ob die Impfkampagne der Landesregierung jemals evaluiert worden sei. Ernst antwortete, dies sei nicht der Fall gewesen, da es nur zusätzliche „unverhältnismäßige Kosten“ produziert hätte.
Der AfD-Abgeordnete Dr. Hans-Christoph Bernd fragte, ob die ehemalige Ministerin Kinder kenne, die infolge der Impfung krank oder gestorben seien – was Ernst verneinte.
Bis zur Mittagspause wurde zweimal eine sogenannte „Nichtöffentlichkeit“ hergestellt und das Publikum hinausgebeten – einmal auf Anfrage der Grünen-Abgeordneten Sahra Damus, die eine Verfahrensfrage zum Ausschuss stellen wollte. Hierbei handelte es sich um die erste Wortmeldung der Grünen-Politikerin überhaupt in den gesamten drei bisherigen Ausschuss-Sitzungen.
Die Impfbusse an Schulen
Nach der Mittagspause ging es unter anderem um das Thema Impfungen an Schulen durch die sogenannten „Impfbusse“. Ernst gab hierbei zu, „in einer kurzen Phase“ habe es tatsächlich Impfungen an Schulen gegeben. An dieser Stelle offenbarte der Ausschussvorsitzende Danny Eichelbaum (CDU) sein Unwissen: Es wurde deutlich, dass ihm die Tatsache von Impfungen an Schulen bislang überhaupt nicht bekannt gewesen war. Er stritt zunächst ab, dass es Impfungen an Schulen gegeben habe, wurde dann jedoch von Ernst korrigiert, die die “zeitweiligen” Impfungen an Schulen zugab.
Die Corona-Tests an Schulen
Auf die Frage, ob die Corona-Testungen an Schulen jemals evaluiert worden seien im Hinblick auf ihre Wirksamkeit bei der Verhinderung von Infektionen, antwortete Ernst, die Maßnahme sei nicht evaluiert worden. Zudem habe es sich auch immer um ein ganzes Bündel an Maßnahmen gehandelt, wodurch sich eine einzelne Maßnahme aus diesem Bündel nur sehr schwer gesondert evaluieren ließe.
Die Frage nach den Gesamtkosten der Tests an Schulen im Land Brandenburg wollte Ernst zunächst nur ausweichend mit der Erklärung beantworten, die Kosten seien regelmäßig veröffentlicht worden, sie hätte darüber jetzt keinen genauen Überblick – nannte dann jedoch noch eine Zahl von „insgesamt knapp 300 Millionen Euro“.
Ernst wurde gefragt, ob ihr der Begriff der „Spezifität“ bei Corona-Tests bekannt sei. Auch diese Frage wollte und musste Ernst erneut nicht beantworten.
Die psychischen Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche
Auf die Frage, ob Ernst der im Sommer 2022 erschienene Bericht des Sachverständigenausschusses zur Evaluierung der Corona-Maßnahmen bekannt sei, antwortete Ernst, sie erinnere sich daran, das jenes Gremium einberufen worden sei – den Evaluationsbericht habe sie jedoch nicht gelesen.
Zur Frage psychischer Auswirkungen der Maßnahmen auf Kinder und Jugendliche antwortete Ernst, „dass die Maßnahmen negative psychische Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche haben würden, davon ist ja jeder ausgegangen“. Es seien „schwierige Entscheidungen gewesen, die sie treffen mussten“, und fügte hinzu, “als Ministerium hätten sie sich als Lobby für Kinder und Jugendliche verstanden“. An dieser Stelle erfolgten erneut Laute der Entrüstung aus dem Publikum, was den Vorsitzenden Danny Eichelbaum zu einer weiteren Ermahnung veranlasste, das Publikum des Saales zu verweisen, sollten jene Meinungsäußerungen nicht unterbleiben. Ernst fuhr fort, klar sei aber auch gewesen, dass Kinder Teil des Infektionsgeschehens gewesen seien, daher hätten sie hier „abwägen“ müssen.
„Abwägungsprozesse“ - dieser Begriff stellte im Laufe der Sitzung, sowohl in den Ausführungen von Britta Ernst, sowie in denen ihrer damaligen Staatssekretärin Ines Jesse, die im Anschluss an Ernst vernommen wurde, den zentralen Schlüsselbegriff dar. Der AfD-Abgeordnete Hünich wandte ein, das im 8000-seitigen PDF-Bericht der Kommunikation zwischen dem brandenburgischen Bildungsministerium und Gesundheitsministerium, welcher der AfD vorläge, solche „Abwägungsprozesse“ nicht zu erkennen seien. Er wollte zudem von Ernst wissen, ob sie im Winter 2021 mal persönlich eine Schule besucht hätte. Ernst verneinte dies und begründete es damit, dass der Besuch einer Ministerin an einer Schule immer für sehr großen Aufwand sorge, den sie den Schulen in Zeiten verschärfter Hygienemaßnahmen habe ersparen wollen.
Die AfD-Abgeordnete Oeynhausen fragte, ob infolge eines Berichts der Kinder- und Jugendärzte vom April 2021, demzufolge verschiedene Entwicklungsstörungen, wie Esstörungen, Depressionen und Gewichtsprobleme während der Schulschließungen bei Kindern und Jugendlichen signifikant zugenommen hätten, sich die Barmer Krankenkasse mal an das Ministerium gewandt hätte - und falls ja, mit welchen Konsequenzen. Ernst antwortete, die Krankenkasse hätte sie nicht kontaktiert, einzelne Ärzte jedoch schon. Konsequenzen hierauf hätte es jedoch keine gegeben.
Die Zunahme an häuslicher Gewalt
Auch das Thema einer Zunahme häuslicher Gewalt im Rahmen von Lockdowns und Schulschließungen wurde behandelt. Ernst legte dar, es habe im Hinblick auf zunehmende häusliche Gewalt regelmäßige Rücksprachen mit den Jugendämtern gegeben – hierzu hätten auch Videokonferenzen im Ministerium stattgefunden. Sie behauptete, „am Anfang, nach dem ersten Lockdown“, habe es noch keine Studien zu häuslicher Gewalt gegeben - erst später sei ersichtlich geworden, dass eine solche Zunahme tatsächlich stattgefunden hätte.
Dies ist nachweislich eine Falschbehauptung, da im Sommer 2020 bereits erste wissenschaftliche Studien erschienen waren, die auf eine signifikante Zunahme häuslicher Gewalt, sowohl gegen Frauen, als auch gegen Kinder und Jugendliche während des Lockdowns und der Schulschließungen hinwiesen. Wissenschaftler der TU München etwa hatten bereits im Frühjahr 2020 eine großangelegte Online-Befragung mit 3.800 Teilnehmern zu diesem Thema durchgeführt, die zu erschreckenden Ergebnissen gekommen war: Demnach wurden in 6,5 Prozent der Haushalte während der Schulschließungen Kinder körperlich bestraft – diese Zahl lag bei problematischen Lebensumständen, die insbesondere durch Lockdown-Maßnahmen zusätzlich verschärft und begünstigt wurden, noch einmal deutlich höher: Etwa, wenn sich die Befragten zu Hause in Quarantäne befanden (10,5 %), bei finanziellen Sorgen (9,8 %), bei Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit (9,3 %), oder im Falle der Depression eines Elternteils (9,2 %). Die Ergebnisse dieser Studie lagen bereits im Juni 2020 vor.
Die CDU-Abgeordnete Saskia Ludwig verwies zudem auf eine weitere Studie zu häuslicher Gewalt der Charité und des Berliner Senats von Juli 2020. Auch die Taz oder ein Brandenburger Lokalmedium wie die Märkische Allgemeine hatten bereits im Juni 2020 über eine massive Zunahme häuslicher Gewalt während des Lockdowns berichtet. Ebenso hatte der Opferschutzverband “Weißer Ring” bereits im Juli 2020 vehement vor einer Zunahme häuslicher Gewalt gewarnt.
Dass der ehemaligen brandenburgischen Bildungsministerin Britta Ernst all diese Studien und Aussagen im Herbst 2020, bei der Entscheidung über die nächsten Schulschließungen, noch nicht bekannt gewesen sein sollen, und sie auf Grundlage dieser Unkenntnis über weitere Schulschließungen und die Aufhebung des Präsenzunterrichts votierte, stellt eindeutig ein fachliches Versäumnis dar. Die Behauptung Ernsts, entsprechende Studien hätten damals noch nicht vorgelegen, muss eindeutig als falsche Tatsachenbehauptung zurückgewiesen werden.
Die Frage, ob sie bei der Aufhebung der Präsenzpflicht irgendwelche Bedenken gehabt habe, wurde von Ernst verneint – denn die Maßnahme hätte darauf abgezielt, Schulschließungen zu vermeiden. Ob die Maßnahme rückblickend betrachtet angemessen gewesen sei? Laut Ernst, ja – denn die Inzidenzen seien damals so hoch gewesen wie nie zuvor.
Die Meinung der Eltern zu den Corona-Maßnahmen
Im Folgenden wurde auch nach Rückmeldungen der Eltern zu den verordneten Maßnahmen gefragt. Laut Ernst hätte sich die Zahl der Eltern, die strengere Maßnahmen wollten, „die Waage gehalten“ mit Eltern, die die Maßnahmen ablehnten. Auf die Frage, wieviele Elternzuschriften genau sie bekommen hätten, die die Maßnahmen ablehnten, antwortete Ernst, es hätte Kritik gegeben, mehrheitlich wurden die Maßnahmen jedoch getragen. Sie habe auch regelmäßig mit den Kreiselternvertretungen gesprochen und daraus “keine Ablehnung der Landespolitik entnommen“. Es sei bei diesen Besprechungen eher um Fragen gegangen, wie etwa welche Tests verwendet werden sollten – nicht jedoch um die Frage, ob überhaupt getestet werden solle.
In der Bevölkerung sei laut Ernst ein Wunsch nach Vereinheitlichung der Maßnahmen laut geworden. Dass in der Schule Maskenpflicht galt, im Hort jedoch nur teilweise, hätte ihnen als Landesregierung “den Vorwurf eingebracht, dass die Maßnahmen nicht zueinander passen würden”. Es fiel wieder die Formulierung, die sich wie ein roter Faden durch die Vernehmung zog: Es hätte sich um „schwierige Abwägungsprozesse“ gehandelt - man hätte Kompromisse, Vereinheitlichung und Klarheit schaffen müssen.
Die Vernehmung der ehemaligen Staatssekretärin im brandenburgischen Ministerium für Bildung, Jugend und Sport, Ines Jesse (bis 2021 im Dienst)
Nach der zweiten Pause, etwa gegen 16 Uhr, erfolgte die Vernehmung der ehemaligen Staatssekretärin unter Britta Ernst im brandenburgischen Bildungsministerium (MBJS). Anders als Ernst, die bis 2023 im Amt war, war Jesse nur bis 2021 im Ministerium tätig. Sie verwies deshalb aufgrund der Länge des Zeitraumes, der seit ihrem Ausscheiden aus dem Ministerium verstrichen sei, im Laufe der Vernehmung des Öfteren auf Erinnerungslücken. Einer der von ihr am Häufigsten verwendeten Sätze, unisono mit der damaligen Ministerin Ernst: „Diese Zeit war geprägt von Abwägungsprozessen“.
Auf die Frage, ob sie sich daran erinnern könne, dass ihre ehemalige Vorgesetzte Ernst die STIKO dazu aufgefordert hatte, endlich eine Impfempfehlung für Kinder in der Altersgruppe 12-17 abzugeben, antwortete Jesse, „dass die Ministerin eine Empfehlung als Ersatz für STIKO abgegeben hätte, daran könne sie sich nicht erinnern” – fügte jedoch hinzu, “auf die Kinder-Impfempfehlung der Stiko hätten sie ja alle gewartet“ und es sei “der Wunsch dagewesen, Klarheit zu schaffen im Hinblick auf die Impfungen“.
Jesse wurde auch gefragt, ob sie am Impfempfehlung-Schreiben des Ministeriums an die Eltern von 12-17 Jährigen im Sommer 2021 beteiligt gewesen sei. Jesse antwortete, „Wenn das in meiner Zeit war, dann muss ich daran beteiligt gewesen sein“. Auf die Frage der Abgeordneten Ludwig, von wem die Idee für den Impfbrief an die Eltern gekommen sei, antwortete Jesse, das wisse sie nicht. Es folgte der Einwand der AfD-Abgeordneten Oeynhausen, dass die Impf-Empfehlung der STIKO für die Altersgruppe 12-17 ausdrücklich auch auf „soziale Aspekte“ begründet gewesen sei - unter anderem, dass die Impfung dazu geeignet sei, die soziale Exklusion von Kindern zu verringern. Ob Jesse diese Begründung der STIKO bekannt gewesen sei, und ob diese bei ihr nicht zu Bedenken geführt habe. Jesse antwortete, sie „könne nicht sagen ob sie sich die Begründung der STIKO für die Kinderimpfung durchgelesen habe“ und fügte hinzu: „Wissen sie, wir haben so viele Emails bekommen damals“.
Da der Aufgabenbereich von Britta Ernst und ihrer ehemaligen Staatssekretärin Ines Jesse praktisch deckungsgleich waren, wiederholten sich nun viele Fragen aus der ersten Vernehmung, etwa die Frage nach der häuslichen Gewalt. Jesse antwortete, da habe man ein Auge drauf gehabt – etwa hätten sie „die Schulen darum gebeten, dass die Lehrkräfte – zweimal die Woche? Zweimal im Monat?” - (Jesse ist sich an dieser Stelle unsicher) - “aktiv auf die Kinder zugehen sollten“.
Auf die Frage, ob es kritische Briefe von Eltern gegeben habe, antwortete Jesse, dies sei extrem gemischt gewesen, sie werde hierzu aber keine genauen Angaben machen. An späterer Stelle fügte sie hinzu, „das war eine Mixtur, die einen in die eine Richtung, die anderen in die andere Richtung“. Wie man da abgewogen hätte? Es folgt die inzwischen deutlich unwirsche Antwort von Jesse: „Nochmal – es WAR eine Abwägung.“
Im Hinblick auf die Schulschließungen während des zweiten Lockdowns verwies Jesse auf „Empfehlungen der RKI und der STIKO“, an die man sich gehalten habe. Welche Datengrundlage dafür vorgelegen hätte? Jesse antwortete hierauf, nun schon sichtlich genervt: „Die Daten lagen vor, die vorlagen, und die haben wir benutzt.”
Auf die Frage, ob sie während der Zeit der Maßnahmen mal eine Schule besucht habe, antwortete Jesse: Zu Hochzeiten der Pandemie sei sie nicht in Schulen gegangen. Ob sie auch mal Kinder während einer Unterrichtsstunde mit Masken habe sitzen sehen? Jesse antwortete, sie glaube nicht.
Von der CDU-Abgeordneten Saskia Ludwig nach Maßnahmen wie Masken auf Schulhöfen gefragt wurde, antwortete Jesse, “das mit den Masken habe sich ja damals so entwickelt“: Von selbstgenähten Stoffmasken über medizinische Masken bis hin zu FFP2 -Masken – und die Maskenpflicht auf Schulhöfen sei ja dann auch wieder zurückgenommen worden, “weil der Kenntnisstand dann eben ein anderer war“. Es sei ihnen stets wichtig gewesen, zum Wohle der Kinder zu handeln, und “es war eine gemeinsame Entscheidung der Landesregierung in Abwägung aller Ressorts“.
Auf den Einwand der AfD-Abgeordneten Oeynhausen, ob der ehemaligen Staatssekretärin bekannt gewesen sei, dass die STIKO-Empfehlung nur auf erheblichen öffentlichen Druck zustande gekommen war, erfolgte der Zwischenruf eines der beiden identisch gekleideten, anwesenden Linken-Abgeordneten - im schwarzen Rollkragenpulli und schwarzer Hornbrille: „Mutmaßung!“ Es handelte sich hierbei um den einzigen Redebeitrag des Linken-Abgeordneten Ronny Kretschmers während der gesamten dritten Vernehmung. Nach einem kurzen verbalen Schlagabtausch mit AfD-Abgeordneten Lars Hünich, schob Kretschmer nach, es sei sein Recht und seine Pflicht, hierzu seine Meinung zu äußern.
Die Vernehmung der ehemaligen Staatssekretärin Ines Jesse war an dieser Stelle beendet. Aus Zeitgründen wurden die eigentlich gegen 16 Uhr anvisierten Vernehmungen der Zeugen Dr. Daniel Sobotta, dem Geschäftsführer der Landesärztekammer Brandenburg, und Lutz Freiberg, seit 2011 Leiter des Geschäftsbereichs Verträge, Forschung und Entwicklung der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg, auf die nächste Sitzung des Untersuchungsausschusses am 21. Dezember 2023 vertagt. Dabei wird es unter anderem um reihenweise verschwundene Dokumente, wie Impf-Aufklärungs- und Einwilligungserklärungen aus den Brandenburger Impfzentren gehen, wie der Nordkurier bereits am 15.11.23 berichtet hatte.
Die “Brandmauer” in Aktion: Der konzertierte Boykott des Corona-Untersuchungsausschusses durch die Abgeordneten der SPD, Grünen und Linken
Die anwesenden Fraktionsmitglieder der SPD, Grünen und Linken hatten sich recht offenkundig in einer Art „Ehrenkodex Brandmauer” dazu verschworen, die von der AfD durchgesetzte Veranstaltung durch Nichtgebrauchmachen von ihrem Fragerecht geschlossen zu boykottieren. Wie schon bereits in den zwei Sitzungen zuvor stellten sie keine einzige Frage. Ein durchaus befremdlicher Umstand angesichts der Tatsache, dass eine Schädigung von Kindern und Jugendlichen durch die Corona-Maßnahmen inzwischen von kaum einer fachlichen Stelle noch infrage gestellt wird. Selbst der recht vorsichtig argumentierende, von der Politik eingesetzte Sachverständigenausschuss zur Evaluierung der Corona-Maßnahmen unter Prof. Dr. Stefan Huster war zu dem Schluss gekommen, dass insbesondere Maßnahmen wie Schulschließungen Kindern massiv geschadet hatten. Es handelt sich bei dieser Erkenntnis demnach keinesfalls um eine “versprengte AfD-Meinung”, sondern breiten Konsens unter ausgewiesenen Fachleuten. Die Frage, ob die Corona-Maßnahmen für Kinder verhältnismäßig waren, dürfte daher im Hinblick auf das Kindeswohl eigentlich im Interesse ALLER politischen Parteien liegen– allein schon, um in der nächsten Krise eine emotionalisierte Überreaktion wie Schulschließungen, die das Kindeswohl nachweislich gefährdet haben, zu vermeiden.
Im Brandenburger Landtag gewinnt man jedoch unweigerlich den Eindruck: Weil die AfD den Ausschuss einberufen hat und man diese allein schon aus dem “Prinzip Brandmauer” heraus boykottiert, verweigern sich SPD-, Grünen- und Linken-Abgeordnete einer Auseinandersetzung mit diesen wichtigen Fragen. Man scheint sich darauf zu verlassen, dass eine AfD-Veranstaltung ohnehin als „illegitim“ geframt wird, so dass die eigene Nicht-Performance in diesem Gremium zur Visitenkarte der eigenen Vorbildlichkeit wird. Für die anwesenden Abgeordneten der SPD, Grünen und Linken stellt der Corona-Untersuchungsausschuss im Brandenburger Landtag ganz offenkundig eine reine Pflichtveranstaltung dar, die man am Handy daddelnd und gelangweilt, aber immerhin bezahlt, absitzen kann. Ein namenloser, junger Referent der Grünen, der während der gesamten Vernehmung mit FFP2-Maske im Plenum saß, las eine ganze Weile lang sogar demonstrativ desinteressiert in einem Buch, das nichts mit der Veranstaltung zu tun hatte.
Die zentrale Figur des Corona-Untersuchungsausschusses im brandenburgischen Landtag: Die CDU-Abgeordnete Saskia Ludwig
Die zentrale Figur des Brandenburger Untersuchungsausschusses ist jedoch kein Abgeordneter der AfD - sondern die CDU-Abgeordnete Saskia Ludwig. Durch ihr persönliches Interesse an einer Corona-Aufarbeitung hat sie diese wichtige Frage ins bürgerliche Lager und die politische Mitte geholt. Dabei wartet sie mit gut durchdachten Fragen auf, argumentiert beharrlich und besonnen.
Es ist mehr als unwahrscheinlich, dass ein Vorstoß zu einer Corona-Aufarbeitung jemals von einer der Ampelparteien oder der in Auflösung begriffenen Linken ausgehen könnte. Die Ampelparteien haben die Corona-Maßnahmen mit der Abstimmung über die allgemeine Impfpflicht sogar noch weit über den Merkelschen Autoritarismus hinaus eskaliert - zudem ist die Ampel noch immer im Amt. Machtpolitisch betrachtet scheint ein Aufarbeitungs-Vorstoß aus dieser Richtung undenkbar - es wäre politischer Suizid. Auch Sahra Wagenknecht windet sich noch immer hartnäckig um die Frage, ob eine Corona-Aufarbeitung überhaupt Teil des Programms ihrer neuen Partei werden soll. Der erfolgversprechendste Vektor aus dem parteipolitischen Spektrum, von dem eine Corona-Aufarbeitung ausgehen könnte, ist daher die CDU. Ein Vorantreiben einer Corona-Aufarbeitung hätte für die CDU diverse strategische Vorteile:
Sie könnte der AfD ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal wegnehmen
Sie könnte endlich wieder als Oppositionspartei Zähne zeigen
Und nicht zuletzt könnte sie mit dem Finger auf die Ampel zeigen – die es tatsächlich zustande gebracht hat, die im internationalen Vergleich bereits äußerst autoritäre Merkel-Politik mit 2G- und 3G-Maßnahmen, sowie der Impfpflicht-Debatte, sogar noch weiter auf die Spitze zu treiben.
So kontraintuitiv es zunächst auch erscheinen mag, ausgerechnet der CDU, die in der ersten Hälfte der Corona-Jahre zweifelsohne als Potentat autoritärer Corona-Maßnahmen in Erscheinung getreten ist, eine zentrale Rolle in der Corona-Aufarbeitung zuzubilligen – lokale CDU-Abgeordnete haben mit Abstand das größte Potenzial, eine Corona-Aufarbeitung in der bürgerlichen Mitte ins Rollen zu bringen. Nicht zuletzt, weil für den Merkel-kritischen Flügel innerhalb der CDU ohnehin noch eine kritische Aufarbeitung der politischen Altlasten der Merkel-Ära ansteht. Denn spätestens in der Corona-Zeit hatte sich die Regierung Merkel der Attribute „christlich“ oder „demokratisch“ endgültig entledigt. Die CDU könnte mit einer selbstkritischen Aufarbeitung der eigenen Corona-Politik endlich einen Weg aus der selbstverschuldeten Profilneurose finden - und sich wieder auf ihre eigentliche, christdemokratische Wertebasis besinnen. Unabhängig davon, wie ergiebig die Erkenntnisse aus dem Brandenburger Landtag zur Corona-Politik noch ausfallen mögen: Dafür, welche Rolle die CDU im Aufarbeitungsprozess der Corona-Politik einnehmen könnte, bietet der Ausschuss bereits ein hervorragendes Beispiel, das gerne Schule machen darf.
Und noch eine wichtige Schlussbemerkung zum geltenden Verbot von Film- und Audiomitschnitten während des gesamten Untersuchungsausschusses: Ein solches Verbot ist in meinen Augen mit dem Recht auf eine freie Berichterstattung, Informationsfreiheit und der Forderung nach Transparenz in der Politik in keinster Weise zu vereinbaren. Es handelt sich beim Corona-Untersuchungsausschuss um eine öffentliche Vernehmung von staatlichen Funktionären, die Entscheidungen getroffen haben, die das Wohlergehen von Millionen Bürgern im Land betrafen. In meinen Augen ist es aus demokratischer Sicht schlichtweg nicht mehr zu vermitteln, dass die Ausschusssitzungen nicht ungeschnitten ins Netz gestellt werden. Mit den Standards einer modernen Demokratie ist eine solch peinlich-verdruckste Geheimniskrämerei nicht mehr zu vereinbaren. Wir haben für den Corona-Untersuchungsausschuss im Brandenburger Landtag von unseren Steuermitteln bezahlt - der Souverän hat demnach auch ein Recht darauf, zu erfahren, was dort genau im Wortlaut besprochen wird. Die Bürger dieses Landes sollten daher nicht müde werden, den ihnen zustehenden Anspruch auf Transparenz von der Politik einzufordern.
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Danke vielmal liebe Aya für Deine sensationell gute Arbeit! So fundiert und scharf und unbestechlich erlebe ich Dich immer. herzlichst Cambra
Vielen Dank für die Berichterstattung.
Es ist gut dass es diesen Untersuchungsausschuss gibt, und was immer man von der AfD hält: sie ist die einzige Partei die diese Opposition macht.
Aber im Großen&Ganzen scheint es nicht wirklich um Aufarbeitung zu gehen sondern um Aussitzen und Vergessen. (Vor ein paar Jahren hätte ich gesagt Merkel war die beste darin, aber in Scholz&Frau hat sie ihre Meister gefunden.)
Hier ein Artikel von Eugyppius der Ernsts Impfempfehlung beleuchtet:
https://www.eugyppius.com/p/why-were-german-politicians-so-eager?utm_source=post-email-title&publication_id=268621&post_id=138966310&utm_campaign=email-post-title&isFreemail=true&r=mgiz&utm_medium=email